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www.rhetorik.ch aktuell: (15. Jun, 2011)

Beyeler Abwahl

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Beyeler
Erwin Beyeler wurde als amtierender Bundesanwalt vom Paralement abgewählt. Der "Fall Holenweger" scheint ihm geschadet zu haben. Im Gerichtsfall Holenweger wurde der Privatbankier Oskar Holenweger im April 2011 freigesprochen. Die Bundesanwaltschaft stand danach in der Kritik: zu lange Verfahren, zu wenig Verurteilungen. Die Sache ist politisch interessant, denn sie liegt im Zentrum von Fragen der Gewaltentrennung. Das Schweizer Parlament konnte in diesem Fall zum erstenmal über den Bundesanwalt entscheiden.
Schweizer Fernsehen
Aus 20 Min

Das Parlament hat den amtierenden Bundesanwalt Erwin Beyeler überraschend nicht im Amt bestätigt. Mit 109 Stimmen erreichte er in der Vereinigten Bundesversammlung das absolute Mehr von 114 Stimmen nicht. Beyeler ist seit 2007 im Amt und stand für die Amtszeit 2012 bis 2015 zur Wiederwahl. Beyeler wurde im Vorfeld scharf kritisiert. Dennoch war seine Wiederwahl erwartet worden, da sich am Dienstag vor einer Woche die SP-Fraktion für die Unterstützung Beyelers ausgesprochen hatte. Damit war schliesslich nur noch die SVP-Fraktion gegen die Wiederwahl, da FDP-Mitglied Beyeler bei den Mitteparteien nie offiziell zur Diskussion stand. Jetzt haben sich offensichtlich nicht alle Parlamentarier an die Fraktionsempfehlungen gehalten. In der Kritik stand der Bundesanwalt insbesondere wegen des Falls Holenweger, der im April mit einem Freispruch für den angeklagten Bankier endete. Unklar ist dabei, wie weit Beyeler auch über den Einsatz des früheren Drogenbarons Ramos informiert war oder diesen sogar billigte, wie dies SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli - laut eigenen Angaben ein Freund Holenwegers - behauptet. Der Prozess gegen Holenweger geht auf Vorwürfe von Ramos zurück, die schliesslich aber nicht zur Anklage kamen. Die Bundesanwaltschaft steht jedoch auch wegen anderer Verfahren, die sich lange hinziehen oder schliesslich im Sande verlaufen, in der Kritik. Die Gerichtskommission des Parlaments habe keine Hinweise auf Verfehlungen gefunden, wie CVP-Nationalrat Reto Wehrli vor der Wahl im Nationalratssaal ausführte. Zudem erachte die Kommission, welche die Wahl vorberaten hatte, die Kontinuität in der Bundesanwaltschaft als wichtig, da sich diese in einer Phase der Umstrukturierung befinde. Deshalb sprach sich die Gerichtskommission mit 9 zu 7 Stimmen für die Wiederwahl aus. Beyeler ist seit August 2007 Bundesanwalt. Damals hatte ihn der Bundesrat auf Vorschlag des damaligen Justizministers Christoph Blocher gewählt. Inzwischen wurde das Wahlverfahren geändert. Zuständig ist neu die Bundesversammlung. Diese hatte am Mittwoch erstmals die Wahl des Bundesanwalts vorzunehmen.
Aus der NZZ:
Bundesanwalt Erwin Beyeler haben Stimmen aus allen Lagern gefehlt. Nicht nur die SVP-Fraktion, sondern auch Parlamentarier der CVP, FDP, SP und Grünen verweigerten ihm ihre Unterstützung. Die Zweifel an Beyelers fachlicher Kompetenz seien zu gross gewesen, hiess es unisono.
Hier einige Reaktionen: 20 Min:

Beyeler selbst hatte die Diskussion um seine Wiederwahl im Bundeshaus von der Zuschauertribüne aus mitverfolgt. Seine erste Reaktion nach der Verkündigung des Resulats: "Ich bin enttäuscht. Ich habe mir erhofft, dass das Parlament den politischen Erwägungen nicht nachgibt", sagte Beyeler gegenüber Radio DRS. Es sei eine politische Nichtwiederwahl. Ins gleiche Horn stösst die FDP. Die Partei bekundete noch im Ratssaal ihr grosses Bedauern über die Nicht-Wiederwahl des freisinnigen Bundesanwalts: "Herr Beyeler hat keinen Fehler begangen, der eine solche Sanktion rechtfertigen würde", sagte FDP-Nationalrat Christian Lüscher (GE). Der Entscheid sei rein politisch motiviert und habe nichts mit der Person Erwin Beyelers zu tun. Noch deutlicher waren die Worte von FDP-Parteipräsident Fulvio Pelli: "Herr Beyeler wurde zum Sündenbock für die Unzufriedenheit mit der Bundesanwaltschaft gemacht." Zwar ortet auch Pelli bei der Bundesanwaltschaft Probleme, doch diese seien nicht auf Beyeler zurückzuführen, sondern auf die schlechte Struktur. Mit der Neuorganisation seien Kompetenzen der Kantone auf die Bundesanwaltschaft übertragen worden. "Das war ein Fehler", so Pelli gegenüber 20 Minuten Online. "Es braucht eine Strukturreform, sonst bleiben die Probleme bestehen."
Im Blick meinte Daniel Ammann, der die Fehler der Bundesanwaltschaft im Fall Holenweger aufgedeckt hat und den Fall Holenweger einen "Justizskandal" genannt hatte:

"Das ist ein politisches Erdbeben. Das Parlament hat Verantwortung gezeigt, und das ist gut so. Offenbar gab es auch bei den linken Parteien viel mehr Parlamentarier, die Beyeler nicht mehr tragbar fanden."
Quellen: Aus dem Tagi eine Zusammenfassung des Falles Holenweger:

Sommer 2003: Die Bundesanwaltschaft unter Valentin Roschacher beginnt Ermittlungen gegen Oskar Holenweger, Chef der Tempus-Privatbank, wegen Verdachts auf Drogengeld-Wäsche. Den Anfangsverdacht lieferte der verurteilte kolumbianische Drogenboss José Manuel Ramos. Ausserdem soll Holenweger von einem verdeckten Ermittler ("Diemer") angebliche Drogengelder von 834'000 Euro entgegengenommen haben.

Mitte Dez. 2003 bis Ende Jan. 2004: Holenweger sitzt in Untersuchungshaft. Er soll auch Schwarzgeld-Kassen des Alstom-Konzerns verwaltet haben.

5. Juli 2006: Roschacher gibt seinen Rücktritt als Bundesanwalt bekannt. Zuvor hatte ihm die "Weltwoche" vorgeworfen, von Ramos hereingelegt worden zu sein, und Bundesrat Blocher hatte eine Untersuchung gegen die BA verfügt. Roschachers Nachfolger wird Erwin Beyeler.

September 2006: Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts und das EJPD entlasten Roschacher im Fall Ramos.

26. März 2007: Die Polizei in Stuttgart findet bei einer Kontrolle Holenwegers Flip-Chart-Aufzeichnungen über Roschacher.

Anfang August 2007: Die Vize-Bundesanwälte Fels und Nicati informieren die zum Fall Holenweger eingesetzte GPK-Subkommission unter Nationalrätin Lucrezia Meier-Schatz über die Aktenfunde. Nach ihrer Darstellung legen sie einen "H-Plan" zur Ausschaltung Roschachers mithilfe von Medien und Politikern nahe, was Holenweger abstreitet.

5. Sept. 2007: Die GPK-Subkommission kritisiert Christoph Blocher wegen Kompetenzüberschreitungen und Missachtung der Gewaltenteilung. Blocher weist die Anschuldigungen zurück.

9. Nov. 2007: Der Bundesrat stellt sich in der Affäre weitgehend hinter Blocher, der von ihm beauftragte Rechtsexperte Georg Müller dagegen hinter die GPK.

12. Dez. 2007: Abwahl von Bundesrat Christoph Blocher durch das eidgenössische Parlament.

9. Juli 2008: Der mit dem Fall Holenweger betraute Untersuchungsrichter Ernst Roduner tritt "aus gesundheitlichen Gründen" zurück. Er hatte zuvor einen fingierten Droh-Fax an sich selbst geschickt. Ende April 2009 wird er dafür wegen Irreführung der Justiz zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt.

18. Dez. 2009: Das Eidgenössische Untersuchungsrichteramt unter Thomas Hansjakob schliesst seine Voruntersuchungen im Fall Holenweger ab. Der Schlussbericht wirft Holenweger u.a. Geldwäscherei, Veruntreuung, sowie Urkundenfälschung vor.

6. Mai 2010: Die Bundesanwaltschaft erhebt gegen Holenweger Anklage wegen Geldwäscherei, Urkundenfälschung, ungetreuer Geschäftsbesorgung und Bestechung. Die Anklage konzentriert sich auf die Korruptionsfälle von Alstom und die Entgegennahme von angeblichen Drogengeldern.

8. Nov. 2010: Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts weigert sich, der Strafkammer des Gerichts die "Ramos"-Akten herauszugeben.

8. März 2011: Alt-Bundesrat Blocher und die Eidgenossenschaft einigen sich vor dem Bundesgericht gütlich im Streit um die angebliche Verwicklung Blochers in ein Komplott zur Absetzung von Bundesanwalt Roschacher.

21. April 2011: Das Bundesstrafgericht in Bellinzona spricht Holenweger vollumfänglich frei. Er erhält 35'000 Franken Genugtuung und 385'000 Franken als Ersatz für seine Kosten.
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Der H-Plan. Quelle: Tagesanzeiger.
Nachtrag vom 18. Juni: In der Arena vom 17. Juni, 2011 wurde das Thema nochmals diskutiert.

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