Erwin Beyeler wurde als amtierender Bundesanwalt vom Paralement abgewählt.
Der "Fall Holenweger" scheint ihm geschadet zu haben. Im Gerichtsfall Holenweger
wurde der Privatbankier Oskar Holenweger im April 2011
freigesprochen.
Die Bundesanwaltschaft stand danach in der Kritik: zu lange Verfahren, zu wenig Verurteilungen.
Die Sache ist politisch interessant, denn sie liegt im Zentrum von Fragen der Gewaltentrennung.
Das Schweizer Parlament konnte in diesem Fall zum erstenmal über den Bundesanwalt entscheiden.
Das Parlament hat den amtierenden Bundesanwalt Erwin Beyeler
überraschend nicht im Amt bestätigt. Mit 109 Stimmen erreichte
er in der Vereinigten Bundesversammlung das absolute Mehr von 114
Stimmen nicht. Beyeler ist seit 2007 im Amt und stand für die
Amtszeit 2012 bis 2015 zur Wiederwahl.
Beyeler wurde im Vorfeld scharf kritisiert. Dennoch war seine Wiederwahl
erwartet worden, da sich am Dienstag vor einer Woche die SP-Fraktion
für die Unterstützung Beyelers ausgesprochen hatte. Damit
war schliesslich nur noch die SVP-Fraktion gegen die Wiederwahl, da
FDP-Mitglied Beyeler bei den Mitteparteien nie offiziell zur Diskussion
stand. Jetzt haben sich offensichtlich nicht alle Parlamentarier an die
Fraktionsempfehlungen gehalten.
In der Kritik stand der Bundesanwalt insbesondere wegen des Falls
Holenweger, der im April mit einem Freispruch für den angeklagten
Bankier endete. Unklar ist dabei, wie weit Beyeler auch über den
Einsatz des früheren Drogenbarons Ramos informiert war oder diesen
sogar billigte, wie dies SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli - laut
eigenen Angaben ein Freund Holenwegers - behauptet. Der Prozess gegen
Holenweger geht auf Vorwürfe von Ramos zurück, die schliesslich
aber nicht zur Anklage kamen. Die Bundesanwaltschaft steht jedoch auch
wegen anderer Verfahren, die sich lange hinziehen oder schliesslich im
Sande verlaufen, in der Kritik.
Die Gerichtskommission des Parlaments habe keine Hinweise auf Verfehlungen
gefunden, wie CVP-Nationalrat Reto Wehrli vor der Wahl im Nationalratssaal
ausführte. Zudem erachte die Kommission, welche die Wahl vorberaten
hatte, die Kontinuität in der Bundesanwaltschaft als wichtig, da sich
diese in einer Phase der Umstrukturierung befinde. Deshalb sprach sich
die Gerichtskommission mit 9 zu 7 Stimmen für die Wiederwahl aus.
Beyeler ist seit August 2007 Bundesanwalt. Damals hatte ihn
der Bundesrat auf Vorschlag des damaligen Justizministers
Christoph Blocher gewählt. Inzwischen wurde das Wahlverfahren
geändert. Zuständig ist neu die Bundesversammlung. Diese hatte
am Mittwoch erstmals die Wahl des Bundesanwalts vorzunehmen.
Bundesanwalt Erwin Beyeler haben Stimmen aus allen Lagern gefehlt. Nicht
nur die SVP-Fraktion, sondern auch Parlamentarier der CVP, FDP, SP und
Grünen verweigerten ihm ihre Unterstützung. Die Zweifel an
Beyelers fachlicher Kompetenz seien zu gross gewesen, hiess es unisono.
Beyeler selbst hatte die Diskussion um seine Wiederwahl im Bundeshaus
von der Zuschauertribüne aus mitverfolgt. Seine erste Reaktion
nach der Verkündigung des Resulats: "Ich bin enttäuscht. Ich
habe mir erhofft, dass das Parlament den politischen Erwägungen
nicht nachgibt", sagte Beyeler gegenüber Radio DRS. Es sei eine
politische Nichtwiederwahl.
Ins gleiche Horn stösst die FDP. Die Partei bekundete noch im
Ratssaal ihr grosses Bedauern über die Nicht-Wiederwahl des
freisinnigen Bundesanwalts: "Herr Beyeler hat keinen Fehler begangen,
der eine solche Sanktion rechtfertigen würde", sagte FDP-Nationalrat
Christian Lüscher (GE). Der Entscheid sei rein politisch motiviert
und habe nichts mit der Person Erwin Beyelers zu tun. Noch deutlicher
waren die Worte von FDP-Parteipräsident Fulvio Pelli: "Herr
Beyeler wurde zum Sündenbock für die Unzufriedenheit mit der
Bundesanwaltschaft gemacht."
Zwar ortet auch Pelli bei der Bundesanwaltschaft Probleme, doch
diese seien nicht auf Beyeler zurückzuführen, sondern auf
die schlechte Struktur. Mit der Neuorganisation seien Kompetenzen der
Kantone auf die Bundesanwaltschaft übertragen worden. "Das war ein
Fehler", so Pelli gegenüber 20 Minuten Online. "Es braucht eine
Strukturreform, sonst bleiben die Probleme bestehen."
Im Blick meinte
Daniel Ammann, der die Fehler der Bundesanwaltschaft im Fall Holenweger aufgedeckt hat und den
Fall Holenweger einen "Justizskandal" genannt hatte:
"Das ist ein politisches
Erdbeben. Das Parlament hat Verantwortung gezeigt, und das ist gut so.
Offenbar gab es auch bei den linken Parteien viel mehr Parlamentarier,
die Beyeler nicht mehr tragbar fanden."
Aus dem Tagi eine Zusammenfassung des Falles Holenweger:
Sommer 2003: Die Bundesanwaltschaft unter Valentin Roschacher beginnt
Ermittlungen gegen Oskar Holenweger, Chef der Tempus-Privatbank, wegen
Verdachts auf Drogengeld-Wäsche. Den Anfangsverdacht lieferte der
verurteilte kolumbianische Drogenboss José Manuel Ramos. Ausserdem
soll Holenweger von einem verdeckten Ermittler ("Diemer") angebliche
Drogengelder von 834'000 Euro entgegengenommen haben.
Mitte Dez. 2003 bis Ende Jan. 2004: Holenweger sitzt in Untersuchungshaft.
Er soll auch Schwarzgeld-Kassen des Alstom-Konzerns verwaltet haben.
5. Juli 2006: Roschacher gibt seinen Rücktritt als Bundesanwalt
bekannt. Zuvor hatte ihm die "Weltwoche" vorgeworfen, von Ramos
hereingelegt worden zu sein, und Bundesrat Blocher hatte eine Untersuchung
gegen die BA verfügt. Roschachers Nachfolger wird Erwin Beyeler.
September 2006: Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts und das
EJPD entlasten Roschacher im Fall Ramos.
26. März 2007: Die Polizei in Stuttgart findet bei einer Kontrolle
Holenwegers Flip-Chart-Aufzeichnungen über Roschacher.
Anfang August 2007: Die Vize-Bundesanwälte Fels und Nicati
informieren die zum Fall Holenweger eingesetzte GPK-Subkommission
unter Nationalrätin Lucrezia Meier-Schatz über die
Aktenfunde. Nach ihrer Darstellung legen sie einen "H-Plan"
zur Ausschaltung Roschachers mithilfe von Medien und Politikern nahe,
was Holenweger abstreitet.
5. Sept. 2007: Die GPK-Subkommission kritisiert Christoph Blocher
wegen Kompetenzüberschreitungen und Missachtung der
Gewaltenteilung. Blocher weist die Anschuldigungen zurück.
9. Nov. 2007: Der Bundesrat stellt sich in der Affäre weitgehend
hinter Blocher, der von ihm beauftragte Rechtsexperte Georg Müller
dagegen hinter die GPK.
12. Dez. 2007: Abwahl von Bundesrat Christoph Blocher durch das
eidgenössische Parlament.
9. Juli 2008: Der mit dem Fall Holenweger betraute Untersuchungsrichter
Ernst Roduner tritt "aus gesundheitlichen Gründen" zurück. Er
hatte zuvor einen fingierten Droh-Fax an sich selbst geschickt. Ende
April 2009 wird er dafür wegen Irreführung der Justiz zu einer
bedingten Geldstrafe verurteilt.
18. Dez. 2009: Das Eidgenössische Untersuchungsrichteramt unter
Thomas Hansjakob schliesst seine Voruntersuchungen im Fall Holenweger
ab. Der Schlussbericht wirft Holenweger u.a. Geldwäscherei,
Veruntreuung, sowie Urkundenfälschung vor.
6. Mai 2010: Die Bundesanwaltschaft erhebt gegen Holenweger
Anklage wegen Geldwäscherei, Urkundenfälschung, ungetreuer
Geschäftsbesorgung und Bestechung. Die Anklage konzentriert sich
auf die Korruptionsfälle von Alstom und die Entgegennahme von
angeblichen Drogengeldern.
8. Nov. 2010: Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts weigert sich,
der Strafkammer des Gerichts die "Ramos"-Akten herauszugeben.
8. März 2011: Alt-Bundesrat Blocher und die Eidgenossenschaft einigen
sich vor dem Bundesgericht gütlich im Streit um die angebliche
Verwicklung Blochers in ein Komplott zur Absetzung von Bundesanwalt
Roschacher.
21. April 2011: Das Bundesstrafgericht in Bellinzona spricht Holenweger
vollumfänglich frei. Er erhält 35'000 Franken Genugtuung und
385'000 Franken als Ersatz für seine Kosten.