SVP-Chef Toni Brunner weiche der AKW-Diskussion aus, kritisiert
Grüne-Präsident Ueli Leuenberger. Brunner: "Ich diskutiere
gern mit ihm, zum Beispiel über Migration und Europa."
In der Krisenkommunikation ist es falsch, langfristige Entscheide vorschnell zu treffen.
ENSI hatte nach der Katastrophe bedacht gehandelt, indem sie die Vorkommnisse
in Japan verfolgte und als Sofortmassnahme von allen Kernkraftwerken
in der Schweiz hinsichtlich Erdbebensicherheit, Überflutung und Notstromgruppen
einen Bericht verlangte. Deutschland hat in dieser Hinsicht überstürzt
gehandelt, indem - ohne Grund - sofort 7 Werke abgestellt worden sind.
Ein Arzt, der bei einem Patienten unter Zeitdruck einen wichtigen Eingriff
vornehmen muss, der klärt zuerst alles und prüft auch in Ruhe,
ob alles richtig vorbereitet ist - obschon es um Leben und Tod geht.
Bei der Krisenkommunikation hat sich das Antizyklische Verhalten gelohnt:
"Taxifahrer fahren sie langsam, es eilt!"
Man kann deshalb der SVP im jetzigen Zeitpunkt keinen Vorwurf machen, wenn sie
nicht mit den Wölfen geheult hat. Nach der Klärungsphase hingegen,
müsste sich die Partei zu einer klaren Positionierung bekennen.
Aus dem Tagi online:
Das Schweigen der SVP:
Die SVP ist bekannt für klare Positionen und deutliche
Stellungnahmen. Doch seit die Folgen des Tsunamis in Japan den
öffentlichen Fokus auf die Energiepolitik gelenkt haben, ist es um
die Volkspartei still geworden.
"Wir, ich meine die SVP, hängen nicht an der Kernkraft als solcher",
lautete die sibyllinische Antwort von Alt-Bundesrat Christoph Blocher
im Interview mit Tagesanzeiger.ch/Newsnetz auf die Frage, ob ein
neues AKW hermüsse. Im Parteicommuniqué pocht die SVP
auf "Sachlichkeit" in der Beurteilung der Situation. Sachlichkeit
- kein Attribut, das sich die SVP üblicherweise auf die Fahne
schreibt. Die Parteiverantwortlichen fehlen in den öffentlichen
Auseinandersetzungen fast gänzlich. So auch in der "Arena",
wo meistens prominente SVP-Köpfe Teil der Politikerrunde sind,
diesmal aber der Solothurner Nationalrat Walter Wobmann zum Thema
"AKW-Ausstieg, aber wie?" mitdiskutierte. Dass die SVP in der Atomdebatte
Berührungsängste hat, zeigt auch die Traktandenliste der
Delegiertenversammlung vom vergangenen Wochenende in Lugano: Japan und
die Energiepolitik waren mit keinem Wort erwähnt.
Wie lange kann sich eine Partei im Wahljahr einem Thema entziehen, das
die Bevölkerung augenscheinlich beschäftigt? "Eine Partei,
die zu einem zentralen Thema keine Stellung nimmt, hat ein Problem",
sagt Politologe Georg Lutz. "Stur auf dem angestammten Standpunkt zu
beharren, hiesse, die Bevölkerung nicht ernst zu nehmen. Anderseits
sind die Parteien, welche im Sog des Mainstreams umschwenken, auch
nicht besser." Ein Problem könnte für die SVP jene Minderheit
ihrer Basis werden, die atomkritisch eingestellt ist, sagt Lutz. Die
Hoffnung der SVP, das Interesse an dem Thema würde in den kommenden
Monaten abklingen, dürfte sich nach Lutz nicht erfüllen:
"Es erreichen uns fast stündlich neue Hiobsbotschaften aus Japan,
die Aufräumarbeiten werden Jahrzehnte dauern."
Aus SVP-Sicht sei die Nicht-Kommunikation richtig, sagt Politberater Louis
Perron auf Anfrage von Tagesanzeiger.ch/Newsnetz. "Als Parteistratege
würde ich auch versuchen, das Thema zu ignorieren, statt wie
die andern Parteien eine Pirouette zu drehen." Die Wählerschaft
der SVP unterscheide sich von jener der Mitteparteien sehr stark,
"den SVP-Wählern ist das Umweltthema weitgehend egal". CVP und
FDP hingegen kämen von den Grünliberalen unter Druck. "Vielen
jungen und urbanen Mittewählern ist der Umweltschutz wichtig, nach
dem Unglück in Japan mehr denn je." Sollte ein Paradigmenwechsel
in der Energiepolitik stattfinden, habe die SVP ein Problem, sagt
Perron. Kurzfristig sei die Medienabsenz für die Partei nicht
gravierend, da sie den gekauften Raum weitgehend dominiere. "Die SVP
hat genug Geld, um mit Inseraten und Plakaten präsent zu bleiben."
Kommunikationsberater Marcus Knill beurteilt die Zurückhaltung
der SVP aus Sicht der Krisenkommunikation: "Die SVP verhält sich
zurzeit richtig. Man soll erst entscheiden, wenn Informationen da
sind. Also frühestens morgen Donnerstag, wenn das eidgenössische
Nuklearinspektorat erste Angaben macht über die Sicherheit in
Schweizer Atomkraftwerken." Die Begründung von Parteipräsident
Toni Brunner, in der Krise sollten keine weitreichenden Entscheide
gefällt werden, sei plausibel, sagt Knill. "Natürlich
müsste die SVP diesen Grundsatz auch in andern Situationen
beherzigen, wenn beispielsweise ein Flüchtlingsstrom die Schweizer
Grenze passieren würde und ebenfalls internationale Vereinbarungen
abgewartet werden müssten." Wird das Unglück in Japan zum
Wahl-GAU für die Schweizerische Volkspartei? "Das hängt davon
ab, was zum zentralen Streitthema bei den Wahlen wird", sagt Politologe
Claude Longchamp. Ob die Energiedebatte bald an Dramatik verliert,
darüber sind Wahlkampfexperten geteilter Meinung. Jedenfalls werde
die SVP laut Longchamp alles daran setzen, dass das für die Wahlen
entscheidende Meinungsklima durch eines ihrer Themen erzeugt werde,
also durch Migration, Kriminalität oder EU.
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"Wenn die SVP jetzt auf das Thema AKW aufsteigt, fördert sie
das vor allem von den Grünen gesuchte wertehaltige Pingpong",
sagt Longchamp. "Ein Umdenken wie bei der BDP, teilweise auch bei FDP
und CVP, kommt für die SVP nicht infrage, also bleibt nur die
harte Verteidigung der Kernenergie. Die würde im Moment grosse
Angriffsfläche bieten." Doch das Schweigen habe Risiken. Laut
Longchamp könnten sich zweifelnde Teile der Wählerschaft,
vor allem der ländlich-konservativen, umorientieren Richtung BDP
oder Grünliberale.