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www.rhetorik.ch aktuell: (01. Apr, 2011)

Die SVP und die Atomdebatte

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Aus dem Tagi:

SVP-Chef Toni Brunner weiche der AKW-Diskussion aus, kritisiert Grüne-Präsident Ueli Leuenberger. Brunner: "Ich diskutiere gern mit ihm, zum Beispiel über Migration und Europa."


In der Krisenkommunikation ist es falsch, langfristige Entscheide vorschnell zu treffen. ENSI hatte nach der Katastrophe bedacht gehandelt, indem sie die Vorkommnisse in Japan verfolgte und als Sofortmassnahme von allen Kernkraftwerken in der Schweiz hinsichtlich Erdbebensicherheit, Überflutung und Notstromgruppen einen Bericht verlangte. Deutschland hat in dieser Hinsicht überstürzt gehandelt, indem - ohne Grund - sofort 7 Werke abgestellt worden sind. Ein Arzt, der bei einem Patienten unter Zeitdruck einen wichtigen Eingriff vornehmen muss, der klärt zuerst alles und prüft auch in Ruhe, ob alles richtig vorbereitet ist - obschon es um Leben und Tod geht. Bei der Krisenkommunikation hat sich das Antizyklische Verhalten gelohnt: "Taxifahrer fahren sie langsam, es eilt!" Man kann deshalb der SVP im jetzigen Zeitpunkt keinen Vorwurf machen, wenn sie nicht mit den Wölfen geheult hat. Nach der Klärungsphase hingegen, müsste sich die Partei zu einer klaren Positionierung bekennen. Aus dem Tagi online:

Das Schweigen der SVP:

Die SVP ist bekannt für klare Positionen und deutliche Stellungnahmen. Doch seit die Folgen des Tsunamis in Japan den öffentlichen Fokus auf die Energiepolitik gelenkt haben, ist es um die Volkspartei still geworden. "Wir, ich meine die SVP, hängen nicht an der Kernkraft als solcher", lautete die sibyllinische Antwort von Alt-Bundesrat Christoph Blocher im Interview mit Tagesanzeiger.ch/Newsnetz auf die Frage, ob ein neues AKW hermüsse. Im Parteicommuniqué pocht die SVP auf "Sachlichkeit" in der Beurteilung der Situation. Sachlichkeit - kein Attribut, das sich die SVP üblicherweise auf die Fahne schreibt. Die Parteiverantwortlichen fehlen in den öffentlichen Auseinandersetzungen fast gänzlich. So auch in der "Arena", wo meistens prominente SVP-Köpfe Teil der Politikerrunde sind, diesmal aber der Solothurner Nationalrat Walter Wobmann zum Thema "AKW-Ausstieg, aber wie?" mitdiskutierte. Dass die SVP in der Atomdebatte Berührungsängste hat, zeigt auch die Traktandenliste der Delegiertenversammlung vom vergangenen Wochenende in Lugano: Japan und die Energiepolitik waren mit keinem Wort erwähnt.

Wie lange kann sich eine Partei im Wahljahr einem Thema entziehen, das die Bevölkerung augenscheinlich beschäftigt? "Eine Partei, die zu einem zentralen Thema keine Stellung nimmt, hat ein Problem", sagt Politologe Georg Lutz. "Stur auf dem angestammten Standpunkt zu beharren, hiesse, die Bevölkerung nicht ernst zu nehmen. Anderseits sind die Parteien, welche im Sog des Mainstreams umschwenken, auch nicht besser." Ein Problem könnte für die SVP jene Minderheit ihrer Basis werden, die atomkritisch eingestellt ist, sagt Lutz. Die Hoffnung der SVP, das Interesse an dem Thema würde in den kommenden Monaten abklingen, dürfte sich nach Lutz nicht erfüllen: "Es erreichen uns fast stündlich neue Hiobsbotschaften aus Japan, die Aufräumarbeiten werden Jahrzehnte dauern."

Aus SVP-Sicht sei die Nicht-Kommunikation richtig, sagt Politberater Louis Perron auf Anfrage von Tagesanzeiger.ch/Newsnetz. "Als Parteistratege würde ich auch versuchen, das Thema zu ignorieren, statt wie die andern Parteien eine Pirouette zu drehen." Die Wählerschaft der SVP unterscheide sich von jener der Mitteparteien sehr stark, "den SVP-Wählern ist das Umweltthema weitgehend egal". CVP und FDP hingegen kämen von den Grünliberalen unter Druck. "Vielen jungen und urbanen Mittewählern ist der Umweltschutz wichtig, nach dem Unglück in Japan mehr denn je." Sollte ein Paradigmenwechsel in der Energiepolitik stattfinden, habe die SVP ein Problem, sagt Perron. Kurzfristig sei die Medienabsenz für die Partei nicht gravierend, da sie den gekauften Raum weitgehend dominiere. "Die SVP hat genug Geld, um mit Inseraten und Plakaten präsent zu bleiben."

Kommunikationsberater Marcus Knill beurteilt die Zurückhaltung der SVP aus Sicht der Krisenkommunikation: "Die SVP verhält sich zurzeit richtig. Man soll erst entscheiden, wenn Informationen da sind. Also frühestens morgen Donnerstag, wenn das eidgenössische Nuklearinspektorat erste Angaben macht über die Sicherheit in Schweizer Atomkraftwerken." Die Begründung von Parteipräsident Toni Brunner, in der Krise sollten keine weitreichenden Entscheide gefällt werden, sei plausibel, sagt Knill. "Natürlich müsste die SVP diesen Grundsatz auch in andern Situationen beherzigen, wenn beispielsweise ein Flüchtlingsstrom die Schweizer Grenze passieren würde und ebenfalls internationale Vereinbarungen abgewartet werden müssten." Wird das Unglück in Japan zum Wahl-GAU für die Schweizerische Volkspartei? "Das hängt davon ab, was zum zentralen Streitthema bei den Wahlen wird", sagt Politologe Claude Longchamp. Ob die Energiedebatte bald an Dramatik verliert, darüber sind Wahlkampfexperten geteilter Meinung. Jedenfalls werde die SVP laut Longchamp alles daran setzen, dass das für die Wahlen entscheidende Meinungsklima durch eines ihrer Themen erzeugt werde, also durch Migration, Kriminalität oder EU.
"Wenn die SVP jetzt auf das Thema AKW aufsteigt, fördert sie das vor allem von den Grünen gesuchte wertehaltige Pingpong", sagt Longchamp. "Ein Umdenken wie bei der BDP, teilweise auch bei FDP und CVP, kommt für die SVP nicht infrage, also bleibt nur die harte Verteidigung der Kernenergie. Die würde im Moment grosse Angriffsfläche bieten." Doch das Schweigen habe Risiken. Laut Longchamp könnten sich zweifelnde Teile der Wählerschaft, vor allem der ländlich-konservativen, umorientieren Richtung BDP oder Grünliberale.
Nachtrag vom 3. April, 2011:

20 MIn
Nun schaltet sich auch die SVP in die Atomdebatte ein. "Geht die Einwanderung ungebremst weiter wie bisher, kommen wir nicht um den Bau neuer Atomkraftwerke herum", sagt SVP-Präsident Toni Brunner in einem Interview mit der Zeitung "Sonntag". SVP-Präsident Toni Brunner. SVP-Präsident Toni Brunner.(Bild: Keystone) Bildstrecken Drohne fotografiert AKW FukushimaPaketbombe in OltenAtomkatastrophe in JapanIm Schatten des Kühlturms Infografik Radioaktive Wolke über EuropaSo läuft eine Kernschmelze abDer Super-GAU von TschernobylDer Kampf gegen den Super-GAUKatastrophe in JapanDrohender Super-GAU in JapanAtommüll in Europa Video "Die Frau ist nur aus Zufall noch am Leben" Neue Auflagen für Schweizer AKW"Mein Mann wird radioaktiv verstrahlt" Die Verknüpfung der Atomfrage mit der Einwanderungspolitik sei ein Diskussionsbeitrag, der die Karten auf den Tisch lege, sagte Brunner. Man könne nicht immer davon reden, dass man künftig weniger Strom brauchen solle und gleichzeitig eine ungebremste Einwanderung zulassen. Brunner sieht die Bevölkerungsszenarien als Grundlage, um den künftigen Energiebedarf, aber auch die künftigen Bedürfnisse an die Verkehrsinfrastruktur zu berechnen. Seit der Personenfreizügigkeit könne man die Zuwanderung nicht mehr eigenständig steuern. Dies bedeute, dass Energie- und Infrastrukturszenarien, die der Staat ausarbeiten lässt, obsolet seien. Sie würden regelmässig von der Realität über den Haufen geworfen. Brunner sieht noch weitere Zwänge auf die Schweiz zukommen. Über eine zweite Gotthard-Röhre müsse man nicht mehr diskutieren, weil man sie brauche, ebenso über sechs Autobahnspuren zwischen Bern und Zürich, weil man künftig acht brauche.
Aus dem Tagi:
Bisher hielt sich die SVP in der Atom-Diskussion zurück. Mit einem konkreten Vorschlag, wie der Energiebedarf in der Schweiz gedrosselt werden kann, bricht die Partei nun ihr Schweigen. "Geht die Einwanderung so ungebremst weiter wie bisher, kommen wir nicht um den Bau neuer Kernkraftwerke herum": Parteipräsident Toni Brunner. Nun kommt auch die SVP mit konkreten Vorschlägen zum Atom-Ausstieg: Ohne die Zuwanderung der letzten Jahre könnte sich die Schweiz bereits heute das AKW Mühleberg sparen, sagt die SVP der Zeitung "Der Sonntag". Eine Einwanderungsbremse soll den steigenden Bedarf an Energie drosseln. Damit klinkt sich die SVP in der Atom-Debatte ein. "Wir müssen Alternativen zur Kernenergie diskutieren", sagt Parteichef Toni Brunner erstmals - macht aber gleichzeitig klar: "Geht die Einwanderung so ungebremst weiter wie bisher, kommen wir nicht um den Bau neuer Kernkraftwerke herum." Ein Anstieg der Bevölkerung um 100'000 Personen erhöhe den Energiebedarf der Schweiz um rund eine Milliarde Kilowattstunden, sagt SVP-Nationalrat Walter Wobmann, der mit seiner parteiinternen Gruppe "Asyl und Ausländer" an einer Einwanderungsbremse arbeitet, die in der bevorstehenden Sondersession als Motion eingereicht werden soll. "Seit 2007 sind 320'000 Personen in die Schweiz eingewandert. Das KKW Mühleberg produziert jährlich rund drei Milliarden Kilowattstunden Strom", sagt Wobmann. Sein Fazit: "Ohne Zuwanderung könnten wir uns heute Mühleberg sparen."
Im Grunde genommen hätte die SVP konsequenterweise zuerst das Urteil ENSI über die Sicherheit unserer Werke abwarten müssen, bevor sie zum Ausstieg aus der Atomenergie Stellung bezieht. In Krisensituationen lohnt sich immer: Zuerst alle Fakten klären, erst dann urteilen und ganz am Schluss entscheiden (Massnahmen ergreifen). Wahrscheinlich wollte die Partei verhindern, das Image einer Schweiger - Partei verpasst zu bekommen und verknüpfte die Ausstiegfrage bewusst mit dem Kernthema der SVP - mit der ungebremsten Einwanderung. Der argumentative Ansatz ist einfach, raffiniert aber auch durchschaubar: Wenn man die ungebremste Zuwanderung nicht in den Griff bekommt, benötigen wird Kernkraftwerke. Das heisst: Wir könnten uns schon heute Mühleberg sparen, aber nur unter der Bedingung, dass....

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