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www.rhetorik.ch aktuell: (16. Jul, 2009)

Wie werden Vorurteile widerlegt?

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Die folgende Werbegeschichte ist zwar schon 2 Monate alt, man kann aber immer noch von ihr lernen. Sie ist eine Fortsetzung einer ähnlichen Geschichte aus dem Jahre 2003.

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe hat mit einem Plakattriumvirat "Alles Profiteure, Alles Dealer, Alles Lügner" für den Weltflüchtlingstag 2009 geworben. Die Kampagne war nach WOZ ziemlich schnell zusammengeschustert worden, nachdem ein anderer, mehr durchdachter Plan vom Bundesamt für Migration (BFM) abgelehnt worden war. Eine kleine Gruppe um die SFH-Kommunikationschefin Charlotte Schläpfer musste dann in aller Eile einen neuen Vorschlag aus dem Boden stampfen.
Beat Meiner, Generalsekretär der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH):

"Ich bin nicht Kommunikationsfachmann, aber wir haben Leute bei uns, die das sind. Es ist uns bewusst, dass eine solche Kampagne ein gewisses Risiko darstellt, der Schuss könnte auch hinten rausgehen, wenn es uns nicht gelingt, die Auflösung zu liefern. Wir sind aber überzeugt, dass es eine gute Kampagne ist."


Die Kampagne mache "gwunderig", sie rege die Leute zum Denken an, sagt der Generalsekretär. In der Broschüre der SFH ist dazu zu lesen, Vorurteile seien ein Produkt von "Angst, Bequemlichkeit und Angepasstheit". Ein WoZ Artikel vom April 2009 meint, das Ziel, Vorurteilen gegen Flüchtlinge entgegenzuwirken sei nicht erreicht, da die Widerlegung der Vorurteile nur durch andere Kommunikationskanäle passiere. Die Plakate zementieren die Vorurteile in den Köpfen der Menschen. Die WOZ fragte auch Medienprofis, ob ängstliche, bequeme und angepasste Menschen aktiv im Internet nach der Widerlegung ihrer Vorurteile suchen. Deren Fazit ist vernichtend:

Markus Ruf, Creative Director der Werbeagentur Ruf Lanz und zweimaliger "Werber des Jahres":
"Die Kampagne ist gut gemeint, aber schlecht gemacht. Denn es ist naiv zu glauben, man könne Vorurteile entkräften, indem man sie - zwar in Frageform - noch ein weiteres Mal herausposaunt und dann im Kleingedruckten auf der Website auflöst. Das funktioniert nur bei Leuten, die ohnehin bereits sensibilisiert sind. Und erinnert an den Pfarrer, der am Sonntag vor einem Grüppchen bereits Bekehrter predigt. Den vielen Asylgegnern im Land hingegen liefert die Kampagne kein einziges Argument, ihre Meinung zu überdenken. Ja, sie bestätigt sie eher noch darin."
Lorenz Spinas, Leiter der Werbeagentur Spinas/Gemperle war bei Greenpeace Schweiz fürs Marketing zuständig:
"Ich muss der Kampagne leider ein erhöhtes Eigentor-Risiko attestieren. Nur ein kleiner Bruchteil der Betrachterinnen und Betrachter der Plakate wird sich auf der Website die Hintergründe zu Gemüte führen. Erfahrungsgemäss tun das auch bei einer starken Kampagne selten mehr als ein Prozent. Die restlichen 99 Prozent werden mit der Frage "alles Lügner?" im Kopf weitergehen und sich selber eine Antwort darauf geben. Wenn Vorurteile bereits vorhanden sind, wird diese Antwort kaum so positiv ausfallen, wie es die Flüchtlingshilfe gerne hätte. So werden Vorurteile eher untermauert als widerlegt."
Peter Frey (Quelle: Persoenlich Blog)
"Man weiss nicht, worum es geht, als Zeitungsanzeige mit einem Erklärungstext würde das vielleicht gehen. Bei einem Plakat, bei dem man oft schon vorbeigegangen ist, wenn man den ersten Satz gelesen hat, ist dies aber unverständlich", für mich nicht nachvollziehbar. Er schätzt, dass bloss ein Prozent der Passanten begreifen, worum es bei der Kampagne geht. Nun erhebt sich auch hier die Frage, wie viele Leute das Plakat überhaupt sehen. Vielleicht 100000. Wenn jetzt nur ein Prozent die Sache schnallt, sind das 1000. Auch egal. Weil unter diesen 1000 sowieso alle eben begriffen haben, dass die Mehrheit der Flüchtlinge eben nicht einfach Dealer, Lügner oder Profiteure sind, sondern Flüchtlinge.





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