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www.rhetorik.ch aktuell: (06. Dez, 2008)

Narzissmus im Management?

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:

Marcel Ospel



Siegmund Freud

Beim Betrachten der Wirtschaftskrise kann man zur Vermutung kommen, dass Selbstverliebtheit und Grössenwahn von Wirtschaftsführern am Ursprung des Finanzdebakels steht. USB Chef Marcel Ospel zum Beispiel stieg vom Bankangestellten zum "Master of the Universe" auf. Höher immer höher. Seinem übersteigerten Selbstwertgefühl und der Gier nach sozialem Prestige opferte er alles. Mammon, schnelles Geld war die Triebfeder, der Beste zu sein. Unter Ospel wurde die UBS zur grössten Vermögensverwalterin der Welt. 2005 sagte er noch: "Der Beste wird in diesem Geschäft automatisch der Grösste." Für den Schweizer Psychiater Gerhard Dammann ist Narzissmus die "Leitdiagnose unserer Zeit". Ein "Sonntagszeitung" Artikel von David Lätsch reflektiert über einen möglichen Zusammenhang zwischen Narzissmus und der Finanzkrise.

Sonntags Zeitung 30.11.08:

Selbstverliebtheit und Grössenwahn stehen am Ursprung des Finanzdebakels

Von David Lätsch

"Mancher Banker, der den Kopf hoch trug, versteckt ihn jetzt zwischen den Beinen." Diesen Spruch verdanken wir keinem Gesellschaftskritiker, sondern dem amtierenden Vizepräsidenten des UBS-Verwaltungsrats, Sergio Marchionne. Ob der seinen ehemaligen Ratskameraden Marcel Ospel tatsächlich kopflos - den Schopf im Schritt - hat einhergehen sehen, ist nicht überliefert. Aber auf wen passt der Spruch besser? Ospel wollte der starke Mann sein an der Spitze der besten und grössten Bank der Welt. Der Sohn eines Basler Zuckerbäckers stieg zum "Master of the Universe" empor, wie sich die Angehörigen der Finanzelite seit Tom Wolfes Roman "Fegefeuer der Eitelkeiten" nennen. Mit seiner UBS strebte Ospel höher und immer höher hinaus. Er hat es geschafft. Nur gehalten hat er sich nicht. Illustriert nicht die Personalie Ospel auf dramatische Weise, wie tief Narzissten fallen können?

Narzissmus: Das Wort feiert im Schatten der Weltwirtschaft Hochkonjunktur. So manchen Herren (und wenigen Damen) sagt man jetzt in der Finanzkrise nach, ihre unternehmerischen Entscheidungen seien allein auf das Interesse gegründet, ein übersteigertes Selbstwertgefühl zu bestätigen. Symbol und Versicherung dieses Selbstwertgefühls sei der schnöde Mammon, das schnelle Geld. In ihrer Gier nach Geld, das eigentlich eine Gier sei nach sozialem Prestige, hätten die Finanzmenschen die Weltwirtschaft in die Krise gestürzt. Konklusion: Der Narzissmus als psychologisches Phänomen steht am Ursprung der Krise. Mit dieser Argumentation deckt sich, dass selbst wissenschaftliche Studien die immense Verbreitung narzisstischer Persönlichkeitsmerkmale in den Führungsetagen der Wirtschaft belegen.

Narzissten zeigten sich als die unbeständigsten Manager

Der Psychiater Gerhard Dammann beschrieb in einem kürzlich veröffentlichten Buch die Prominenz narzisstischer Persönlichkeiten in der deutschen Wirtschaft. Narzissmus sei die "Leitdiagnose unserer Zeit". Im Jahr 2007 waren die US-Ökonomen Donald Hambrick und Arijit Chatterjee für den amerikanischen Raum zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen. Die beiden Forscher ermittelten anhand objektiver Kriterien das Ausmass narzisstischer Tendenzen bei den Chefs der wichtigsten amerikanischen IT-Firmen. Der Befund: Erstens waren tatsächlich viele mutmassliche Narzissten unter den Unternehmenschefs. Zweitens zeigten sich die grössten Narzissten zugleich als die unbeständigsten Manager. Narzissten in der Chefetage, so erklärten die Forscher, versuchten durch aussergewöhnliche Entscheidungen möglichst viel Aufmerksamkeit auf sich selbst zu lenken. Geht es gut, folgt der Höhenflug. Sonst die Talfahrt. Hambricks und Chatterjees Befunde lesen sich heute wie ein Vorspann zur Geschichte der UBS. Unter der Führung der Herren Ospel und Wuffli wurde die Bank zur grössten Vermögensverwalterin der Welt. Sie wollten die Besten und Grössten sein. Ospel betonte noch im Jahr 2005: "Der Beste wird in diesem Geschäft automatisch der Grösste." Superlativische Grösse haben die ehemaligen UBS-Chefs jetzt erreicht - als Verlierer. Man kann das als einen Triumph des negativen Narzissmus betrachten. Brigitte Boothe, Psychologie-Professorin an der Uni Zürich, mahnt bei solchen Ferndiagnosen zur Vorsicht. "Das Wort "narzisstisch" wird gern als moralische Keule geschwungen. Auch viele Experten gehen verschwenderisch mit diesem Modeattribut um." In der Literatur taucht das Wort "narzisstisch" (angelehnt an den Mythos vom Knaben Narziss) erstmals vor genau einhundert Jahren beim amerikanischen Psychiater Havelock Ellis auf. Berühmt wird der Begriff Narzissmus aber erst durch Sigmund Freud, der ihm 1914 eine wegweisende Abhandlung widmet. In der psychologisch-psychiatrischen Praxis hat der Begriff "narzisstische Persönlichkeitsstörung" heute nicht eine exakte Definition. Erst eine Kombination verschiedener Persönlichkeitsmerkmale ergibt die Diagnose. Gemeinsam ist männlichen wie weiblichen Narzissten aber die Vorstellung von der Überlegenheit der eigenen Person. Narzissten glauben etwas Besonderes zu sein und erheben deshalb Anspruch auf besondere Behandlung. Doch dieser Glaube ist gefährdet. Hinter dem narzisstischen Grössenwahn steckt meist die Furcht vor Bedeutungslosigkeit. Daher die Not des Narzissten, sich andauernd beweisen zu müssen. Daher seine Unfähigkeit, einen gelieferten Beweis seines Könnens gelten zu lassen. Narzissten erleben immer wieder Krisen ihres Selbstwertgefühls, Anfälle von Selbstzweifel. Deshalb schliessen sie sich gerne elitären Gruppen an. Unter den Fittichen eines Kollektivs fühlen sie sich vor Blossstellung sicher. Auf diese Weise entsteht das Phänomen des narzisstischen Klüngels. Die Selbstzweifel des Einzelnen lösen sich auf im Wir-Gefühl der Gruppe, deren Grandiosität keinem Zweifel unterliegt. Als Bruderschaft in diesem Sinn darf man sich den Verwaltungsrat der UBS vorstellen, wie er vor weniger als einem Jahr bestand.

Im narzisstischen Zirkel schwillt das Geltungsbedürfnis

Darin sass natürlich Marcel Ospel selbst, der sich vom einfachen Lehrling zum Herrn des Universums aufgeschwungen hatte. Darin sass Ernesto Bertarelli, der von Geburt an Privilegierte, dessen Anwesenheit dem "self-made man" Ospel seinen Aufstieg verbürgte. Darin sassen schliesslich die beiden Bewunderer Stephan Haeringer und Marco Suter, mit denen sich der Präsident gerne ins berüchtigte "Chairman's Office" einschloss, ins Herz im Herzen der Macht. In Zirkeln wie diesen schwillt das Geltungsbedürfnis des Einzelnen zur Brandung kollektiver Überheblichkeit. Mitte der 1950er-Jahre unterschied der Psychiater Heinz Hartmann explizit zwischen einer gesunden Form des Narzissmus und einer krankhaften. Gesunder Narzissmus bezeichnet nach Hartmann ein starkes Eingenommensein von der eigenen Person, das aber sozial nicht schädlich wird, im Gegenteil die Leistungsfähigkeit des narzisstisch Ambitionierten noch steigert. Den anderen, krankhaften Narzissmus hat der amerikanische Psychoanalytiker Otto Kernberg ausführlich beschrieben. Krankhafte Narzissten verhielten sich ausbeuterisch in sozialen Beziehungen, seien neidisch auf andere Menschen, suchten sie zu beherrschen und versteckten hinter einer oftmals freundlichen und charmanten Fassade ein merklich kaltes und unerbittliches Wesen. Über die Ursachen der narzisstischen Persönlichkeit sind sich Experten uneins. Eine Theorie besagt, dass Narzissten als Kinder nicht genügend Aufmerksamkeit erfahren und dieses frühe Defizit ein Leben lang durch ein gesteigertes Bemühen um Anerkennung und Bewunderung ausgleichen müssen. Christoph Blocher war das siebte von elf Kindern.

In der Schweiz ist Überheblichkeit Sünde.

Die andere These besagt, dass spätere Narzissten als Kinder von ihren Eltern allzu sehr verwöhnt, verhätschelt, verherrlicht werden. Noch als Erwachsene sind sie von dem Gefühl beherrscht, die Welt sei allein zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse da. Der griechische Philosoph Aristoteles lehrte, dass das tugendhafte Verhältnis eines Menschen zu sich selbst zwischen Bescheidenheit und Überheblichkeit in der Mitte liegt. In der Schweiz dagegen, wo Überheblichkeit Sünde ist, ist Bescheidenheit Tugend. Wohl deshalb fällt hierzulande die Schadenfreude über gefallene Narzissten noch höhnischer aus als anderswo. Brigitte Boothe von der Universität Zürich betont, dass die Gesellschaft dabei ihre Mitschuld an den narzisstischen Kapriolen Einzelner übersieht. "Die Erfolgs- und Siegerpropaganda in vielen Gesellschaften suggeriert eine Art Siegermoral. Wer im Glanz des Erfolgs Applaus bekommt, kann sich alles leisten, dem wird alles zugestanden. Der vom Applaus Betörte denkt das selber auch." Ist Marcel Ospel demnach betört worden vom Applaus eben jener Gesellschaft, die ihn jetzt verstösst? Ospel als Opfer? "In gewisser Weise durchaus", meint die Professorin.

Publiziert am 28.11.2008

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