Marcel Ospel
Siegmund Freud
|
Beim Betrachten der Wirtschaftskrise kann man zur Vermutung kommen, dass
Selbstverliebtheit und Grössenwahn von Wirtschaftsführern am Ursprung des Finanzdebakels steht.
USB Chef Marcel Ospel zum Beispiel stieg vom Bankangestellten
zum "Master of the Universe" auf. Höher immer höher. Seinem übersteigerten
Selbstwertgefühl und der Gier nach sozialem Prestige opferte
er alles. Mammon,
schnelles Geld war die Triebfeder, der Beste zu sein.
Unter Ospel wurde die UBS zur grössten
Vermögensverwalterin der Welt. 2005 sagte er noch: "Der Beste wird
in diesem Geschäft automatisch der Grösste."
Für den Schweizer Psychiater Gerhard Dammann
ist Narzissmus die "Leitdiagnose unserer Zeit". Ein "Sonntagszeitung" Artikel
von David Lätsch reflektiert über einen möglichen
Zusammenhang zwischen Narzissmus und der Finanzkrise.
Sonntags Zeitung 30.11.08:
Selbstverliebtheit und Grössenwahn stehen am Ursprung des Finanzdebakels
Von David Lätsch
"Mancher Banker, der den Kopf hoch trug, versteckt ihn jetzt zwischen
den Beinen." Diesen Spruch verdanken wir keinem Gesellschaftskritiker,
sondern dem amtierenden Vizepräsidenten des UBS-Verwaltungsrats,
Sergio Marchionne. Ob der seinen ehemaligen Ratskameraden Marcel Ospel
tatsächlich kopflos - den Schopf im Schritt - hat einhergehen sehen,
ist nicht überliefert. Aber auf wen passt der Spruch besser?
Ospel wollte der starke Mann sein an der Spitze der besten und
grössten Bank der Welt. Der Sohn eines Basler Zuckerbäckers
stieg zum "Master of the Universe" empor, wie sich die Angehörigen
der Finanzelite seit Tom Wolfes Roman "Fegefeuer der Eitelkeiten"
nennen. Mit seiner UBS strebte Ospel höher und immer höher
hinaus. Er hat es geschafft. Nur gehalten hat er sich nicht.
Illustriert nicht die Personalie Ospel auf dramatische Weise, wie tief
Narzissten fallen können?
Narzissmus: Das Wort feiert im Schatten der Weltwirtschaft
Hochkonjunktur. So manchen Herren (und wenigen Damen) sagt man jetzt
in der Finanzkrise nach, ihre unternehmerischen Entscheidungen seien
allein auf das Interesse gegründet, ein übersteigertes
Selbstwertgefühl zu bestätigen. Symbol und Versicherung
dieses Selbstwertgefühls sei der schnöde Mammon, das schnelle
Geld. In ihrer Gier nach Geld, das eigentlich eine Gier sei nach sozialem
Prestige, hätten die Finanzmenschen die Weltwirtschaft in die
Krise gestürzt. Konklusion: Der Narzissmus als psychologisches
Phänomen steht am Ursprung der Krise.
Mit dieser Argumentation deckt sich, dass selbst wissenschaftliche Studien
die immense Verbreitung narzisstischer Persönlichkeitsmerkmale in
den Führungsetagen der Wirtschaft belegen.
Narzissten zeigten sich als die unbeständigsten Manager
Der Psychiater Gerhard Dammann beschrieb in einem kürzlich
veröffentlichten Buch die Prominenz narzisstischer
Persönlichkeiten in der deutschen Wirtschaft. Narzissmus sei die
"Leitdiagnose unserer Zeit".
Im Jahr 2007 waren die US-Ökonomen Donald Hambrick und Arijit
Chatterjee für den amerikanischen Raum zu einem ähnlichen
Ergebnis gekommen. Die beiden Forscher ermittelten anhand objektiver
Kriterien das Ausmass narzisstischer Tendenzen bei den Chefs der
wichtigsten amerikanischen IT-Firmen.
Der Befund: Erstens waren tatsächlich viele mutmassliche Narzissten
unter den Unternehmenschefs. Zweitens zeigten sich die grössten
Narzissten zugleich als die unbeständigsten Manager. Narzissten
in der Chefetage, so erklärten die Forscher, versuchten durch
aussergewöhnliche Entscheidungen möglichst viel Aufmerksamkeit
auf sich selbst zu lenken. Geht es gut, folgt der Höhenflug. Sonst
die Talfahrt.
Hambricks und Chatterjees Befunde lesen sich heute wie ein Vorspann
zur Geschichte der UBS. Unter der Führung der Herren Ospel und
Wuffli wurde die Bank zur grössten Vermögensverwalterin der
Welt. Sie wollten die Besten und Grössten sein. Ospel betonte noch
im Jahr 2005: "Der Beste wird in diesem Geschäft automatisch der
Grösste."
Superlativische Grösse haben die ehemaligen UBS-Chefs jetzt erreicht
- als Verlierer. Man kann das als einen Triumph des negativen Narzissmus
betrachten.
Brigitte Boothe, Psychologie-Professorin an der Uni Zürich, mahnt bei
solchen Ferndiagnosen zur Vorsicht. "Das Wort "narzisstisch" wird gern als
moralische Keule geschwungen. Auch viele Experten gehen verschwenderisch
mit diesem Modeattribut um."
In der Literatur taucht das Wort "narzisstisch" (angelehnt an den
Mythos vom Knaben Narziss) erstmals vor genau einhundert Jahren beim
amerikanischen Psychiater Havelock Ellis auf. Berühmt wird der
Begriff Narzissmus aber erst durch Sigmund Freud, der ihm 1914 eine
wegweisende Abhandlung widmet.
In der psychologisch-psychiatrischen Praxis hat der Begriff "narzisstische
Persönlichkeitsstörung" heute nicht eine exakte Definition. Erst
eine Kombination verschiedener Persönlichkeitsmerkmale ergibt
die Diagnose. Gemeinsam ist männlichen wie weiblichen Narzissten
aber die Vorstellung von der Überlegenheit der eigenen Person.
Narzissten glauben etwas Besonderes zu sein und erheben deshalb Anspruch
auf besondere Behandlung.
Doch dieser Glaube ist gefährdet. Hinter dem narzisstischen
Grössenwahn steckt meist die Furcht vor Bedeutungslosigkeit. Daher
die Not des Narzissten, sich andauernd beweisen zu müssen. Daher
seine Unfähigkeit, einen gelieferten Beweis seines Könnens
gelten zu lassen.
Narzissten erleben immer wieder Krisen ihres Selbstwertgefühls,
Anfälle von Selbstzweifel. Deshalb schliessen sie sich gerne
elitären Gruppen an. Unter den Fittichen eines Kollektivs
fühlen sie sich vor Blossstellung sicher. Auf diese Weise entsteht
das Phänomen des narzisstischen Klüngels. Die Selbstzweifel
des Einzelnen lösen sich auf im Wir-Gefühl der Gruppe, deren
Grandiosität keinem Zweifel unterliegt. Als Bruderschaft in diesem
Sinn darf man sich den Verwaltungsrat der UBS vorstellen, wie er vor
weniger als einem Jahr bestand.
Im narzisstischen Zirkel schwillt das Geltungsbedürfnis
Darin sass natürlich Marcel Ospel selbst, der sich vom einfachen
Lehrling zum Herrn des Universums aufgeschwungen hatte. Darin sass
Ernesto Bertarelli, der von Geburt an Privilegierte, dessen Anwesenheit
dem "self-made man" Ospel seinen Aufstieg verbürgte. Darin sassen
schliesslich die beiden Bewunderer Stephan Haeringer und Marco Suter,
mit denen sich der Präsident gerne ins berüchtigte "Chairman's
Office" einschloss, ins Herz im Herzen der Macht. In Zirkeln wie diesen
schwillt das Geltungsbedürfnis des Einzelnen zur Brandung kollektiver
Überheblichkeit.
Mitte der 1950er-Jahre unterschied der Psychiater Heinz Hartmann
explizit zwischen einer gesunden Form des Narzissmus und einer
krankhaften. Gesunder Narzissmus bezeichnet nach Hartmann ein
starkes Eingenommensein von der eigenen Person, das aber sozial nicht
schädlich wird, im Gegenteil die Leistungsfähigkeit des
narzisstisch Ambitionierten noch steigert.
Den anderen, krankhaften Narzissmus hat der amerikanische Psychoanalytiker
Otto Kernberg ausführlich beschrieben. Krankhafte Narzissten
verhielten sich ausbeuterisch in sozialen Beziehungen, seien neidisch
auf andere Menschen, suchten sie zu beherrschen und versteckten hinter
einer oftmals freundlichen und charmanten Fassade ein merklich kaltes
und unerbittliches Wesen.
Über die Ursachen der narzisstischen Persönlichkeit sind sich
Experten uneins. Eine Theorie besagt, dass Narzissten als Kinder nicht
genügend Aufmerksamkeit erfahren und dieses frühe Defizit
ein Leben lang durch ein gesteigertes Bemühen um Anerkennung und
Bewunderung ausgleichen müssen. Christoph Blocher war das siebte
von elf Kindern.
In der Schweiz ist Überheblichkeit Sünde.
Die andere These besagt, dass spätere Narzissten als Kinder von
ihren Eltern allzu sehr verwöhnt, verhätschelt, verherrlicht
werden. Noch als Erwachsene sind sie von dem Gefühl beherrscht,
die Welt sei allein zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse da. Der
griechische Philosoph Aristoteles lehrte, dass das tugendhafte
Verhältnis eines Menschen zu sich selbst zwischen Bescheidenheit
und Überheblichkeit in der Mitte liegt. In der Schweiz dagegen,
wo Überheblichkeit Sünde ist, ist Bescheidenheit Tugend. Wohl
deshalb fällt hierzulande die Schadenfreude über gefallene
Narzissten noch höhnischer aus als anderswo.
Brigitte Boothe von der Universität Zürich betont, dass
die Gesellschaft dabei ihre Mitschuld an den narzisstischen Kapriolen
Einzelner übersieht. "Die Erfolgs- und Siegerpropaganda in vielen
Gesellschaften suggeriert eine Art Siegermoral. Wer im Glanz des Erfolgs
Applaus bekommt, kann sich alles leisten, dem wird alles zugestanden. Der
vom Applaus Betörte denkt das selber auch."
Ist Marcel Ospel demnach betört worden vom Applaus eben jener
Gesellschaft, die ihn jetzt verstösst? Ospel als Opfer? "In gewisser
Weise durchaus", meint die Professorin.
Publiziert am 28.11.2008
|
|