"Spiegel":
Das soziale Netz feiert den Wahlsieg Barack Obamas,
mit einer Emotionalität und einem Enthusiasmus, der das
ohnehin längst überkommene Klischee vom desinteressierten,
vergnügungssüchtigen Netz-Nerd Lügen straft. Das Internet
hat einem vor 20 Monaten nahezu unbekannten Mann entscheidend dabei
geholfen, die Wahl zu gewinnen - und heute feiert es sich selbst
dafür.
Kein Zweifel: Obama weiss, wie wichtig das Netz für ihn war und
ist. Als John McCain einmal fragte, wer dieser Obama eigentlich sei,
entgegnete der öffentlich, der Kontrahent möge doch einfach
einen Blick auf seine Facebook-Seite werfen. In seiner Dankesrede im
Grant Park in Chicago dankte er den "jungen Leuten, die den Mythos von
der Apathie ihrer Generation nicht hinnahmen". Und diese jungen Leute
organisierten sich nicht zuletzt übers WWW.
Obamas Facebook-Seite versammelt mehr als 2,5 Millionen Unterstützer,
sein MySpace-Profil verweist auf fast 850.000 "Freunde". Viele
Facebook-Nutzer legten sich auf ihren eigenen Profilseiten sogar
zeitweise den Zweitnamen "Hussein" zu, den auch Obama trägt, um
ihre Solidarität mit dem Kandidaten zum Ausdruck zu bringen.
Sein souveräner Umgang mit dem Web hat Obama den Weg ins Weisse
Haus geebnet.
Seine Anhänger nutzten die Möglichkeiten der digitalen
Vernetzung, um ihm das grösste Spendenaufkommen aller Zeiten
zu bescheren, sie engagierten sich online, um ältere Verwandte
ins Obama-Lager zu holen, sie organisierten Fundraising-Dinner und
Aktionen, um Nichtwähler zu Wählern zu machen. Obamas eigene
Netz-Zentrale my.barackobama.com ist schon jetzt ein Modell für
die Kampagnen der Zukunft, in den USA und anderswo.
Das Netz veränderte den Wahlkampf von Grund auf - und die
Wahl dominiert das Netz, zumindest am 5. November. Von den hundert
Suchbegriffen, die Google auf seiner " Hot Trends"-Seite sammelt,
Begriffen also, nach denen aktuell besonders häufig gesucht wird,
haben am 5. November 87 mit der Wahl zu tun.
Am häufigsten gesucht: die bewegende Rede, in der John McCain seine
Niederlage eingestand.
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