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www.rhetorik.ch aktuell: (17. Mai, 2008)

Eine aussergewöhnliche Arena

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Christoph Blocher, alt Bundesrat Evelyn Widmer Schlumpf, Bundesrätin Toni Brunner, Präsident der SVP
Quelle: Arena vom 16. Mai, 2008
Christian Wasserfallen, Nationalrat FDP/BE Daniel Jositsch, Nationalrat SP/ZH


Der Erwartungsdruck dieser Sendung war enorm. Kommunikationsberater prognostizierten einen Boxkampf und eine Konfrontation "Abgewählter Bundesrat gegen die neue Bundesrätin". Im Vorfeld versprachen sich die Medien einen Showdown, Ein Heer von Fotografen und Reportern pilgerten zum Fernsehstudio. Es schien eine dreifache Win-Situation gegeben. Ein neuer Moderator, der zu einer willkommenen Traumeinschaltquote kommt, ein abgewählter Bundesrat, der sich auf der Werbeplattform für die Einbürgerungsinitiative profilieren kann und Eveline Widmer-Schlumpf, die ihre Chance nutzen wird, der Oeffentlichkeit zu zeigen, dass sie eine würdige Bundesrätin ist, obwohl sie sich persönlich voll und ganz gegen Kernanliegen der eigenen Partei engagiert. Die Arena hinterliess aber keine eindeutigen Gewinner. Nichts von Hass-Duell- nichts von Showdown. Dafür gab die Arena Gelegenheit. die beiden Kontrahenten medienrhetorisch genauer unter die Lupe zu nehmen. Einige medienrhetorischen Elemente beleuchtend, stelle ich bei der neuen Bundesrätin fest:

Frau Widmer - Schlumpf war sehr gut vorbereitet. Ihr Eingangsvotum wurde - gleichsam auswendig gelernt - engagiert, jedoch zu schnell - atemlos - und zu abstrakt, aber gut strukturiert "heruntergeleiert". Inhaltlich stimmte wahrscheinlich alles und könnte als Text gebraucht werden. Doch war den Zuhörern und dem Moderator die Struktur nicht auf Anhieb klar. Wenige der Worte, wie Grundregeln, Willkür, Spielregeln, Verfahrenswildwuchs wurden gefestigt. Obschon sie etwas nervös wirkte (Geschwindigkeit, Hektik), beeindruckte die Bundesrätin durch ihr Engagement. Die Stimme stimmte für mich mit ihrer inneren Stimmung überein. Im Mittelteil zeichnete sich die neue Bundesrätin als gute aufmerksame Zuhörerin aus. Vor ihrem abgesetzten Pult neben dem Moderator befand sie sich optisch auf einer Metaebene. Wenn sie zu Wort kam, war ihr Engagement, ihre Kraft , ihre Präsenz spürbar . Sie verstand es gut, sich immer wieder mit klaren Stoppzeichen durchzusetzen.



In der Schlussrunde überzeugte mich Eveline Widmer- Schlumpf voll und ganz. Auch das Schlussvotum war gewiss trainiert worden. Es wurde verständlich und einfach formuliert und war inhaltlich gut nachvollziehbar. Es fehlten die üblichen Substantivsätze. Die unkomplizierten, gut strukturierten sachlichen Gedanken wurden verankert: Ich bin gegen Wildwuchs. Ich bin für Spielregeln. Ich bin für Fair Play im Umgang miteinander!. Nicht nur mit dem nachhaltigen Schlussvotum überzeugte die Justizministerin. In letzter Zeit sah ich sie leider oft zögerlich, sie wirkte in jüngsten Interviews verunsichert, angeschlagen und zu defensiv. Bei ihren Antworten ärgerte mich beispielsweise, dass sie immer wieder den klassischen Fehler machte, Vorwürfe und Negatives zu wiederholen: Ich bin keine Lügnerin. Ich habe die SVP nicht hintergangen".

In der Arena fand ich erfreulicherweise keine derartigen rhetorische Pannen mehr. In der Argumentation mangelte es bei der Magistratin lediglich an konkreten Bildern, Beispielen, Geschichten. Fakten und nüchterne Inhalte bleiben bekanntlich nur im Langzeitgedächtnis haften, wenn sie als Stimulanz - mit Bildern - gekoppelt werden.

Christoph Blocher auf der Gegenseite hat diese rhetorische Erkenntnis (Bilder beeinflussen) im Blut. Seit je zog er das Publikum mit seinen anschaulichen Beispielen in Bann (Vater Blocher war Pfarrer und kannte die Wirkung der Gleichnisse). Nach seiner Wahl zum Bundesrat hatte sich Bochers Rhetorik gewandelt. Ich stellte fest: Er trat magistraler auf. In der jüngsten Arena machte ich eine wichtige Feststellung: Blochers Rhetorik hat sich schon wieder verändert. Als Redner hat der Vollblutrhetoriker deutlich nachgelassen. Der Druck, das Engagement ist zwar noch da (Gestik, Stimme), doch zeigte sich: Blocher leidet gleichsam unter einem "Überdruck". Seine permanent zu diffusen und lauten Voten ziehen sich in die Länge. Es gibt immer wieder kleine Wortfindungsprobleme - Konzentrationsmangel? Er kontrollierte sich viel schlechter als früher und sprach während der Diskussion nicht mehr so klar und eindeutig. Wirkt sich das Alter aus? Oder setzt ihm das Gegenüber psychisch so zu, dass ihr die Gegnerin nicht gegenüber steht, sondern auf der Ebene des Moderators gleichsam über ihm steht. Oft lehnte er auf sein Pult, hörte nicht recht zu, wirkte unbeherrscht, lachte mit dem SVP Partner als würde er den Gegner auslachen. Er drehte sich immer wieder von seine Kontrahentin ab, während die Bundesrätin sprach, machte Notizen, als nehme er die Aussage gar nicht ernst und zeigt ihr konkret die kalte Schulter. Wenn es um Glaubwürdigkeit geht, gebe ich im Vergleich Blocher/Widmer- Schlumpf der Bundesrätin bei diesem Arenaauftritt mehr Punkte. Was nicht heissen will, dass Blocher dafür mit den konkreten Beispielen hinsichtlich Argumentation doch noch besser überzeugt hat. Die SVP Beispiele wurden jedenfalls ständig wiederholt.

Zur Disziplinlosigkeit

Diese Arena war einmalig. Die Akteure missachteten die Gesprächsprinzipien "Zuhören, ausreden lassen". Immer wieder sprachen mehrere gleichzeitig.Es kam zu oft zu einem verbalen Durcheinander. Ich habe mit Zuschauern gesprochen, die weggezappt hatten, weil sie über Strecken nichts mehr verstehen konnten. Als normaler Medienkonsument wäre ich wahrscheinlich auch ausgestiegen. Moderator Reto Brennwald griff gezielt und engagiert ein, agierte, ermahnte immer wieder, stoppte und versuchte als Dompteur, die disziplinlosen Teilnehmenden zu zügeln. Er griff bei allen ein (kontrollierte die Redeanteile) und konnte das Chaosschiff dank seines Einsatzes durch die Wogen manöverieren. Mir kamen die Anwesenden wie eine Schulklasse vor, die sich nicht an Spielregeln halten will und ihr eigenes Spiel spielen will. Der Moderator war nicht zu beneiden. Er liess die Zügel nicht schleifen. Doch die Redner waren kaum zu bändigen. Auch hier punktete die neue Bundesrätin, weil sie dieses unrühmliche Spiel nicht mitspielte. Fazit: Widmer-Schlumpf hat mit ihrer disziplinierten Art gepunktet. Gefehlt haben bei ihr ledigllich konkrete Beispiele und Geschichten. Alt-Bundesrat Blocher hatte überhaupt nichts mehr bundesrätliches an sich. Mit dem verbalen Zweihänder versuchte er seine Gegner zu besiegen, wirkte unbeherrscht und zuweilen rang er um Argumente und Worte. Diese aussergewöhnliche ARENA entsprach voll und ganz der Produktionslogik der Medien:
  1. Personalisierung: Alles konzentrierte sich auf Christoph Blocher und Eveline Widmer-Schlumpf
  2. Emotionalisierung: Es wurde im Vorfeld von Hass-Duell von Schlagabtausch und Rache geschrieben Gefühle dominierten: Mitleid mit der neuen Bundesrätin usw.
  3. Simplifizierung: Die komplexe Thematik Einbürgerungsinitiative wurde auf Fragen reduziert, wie: Hat das Volk nichts mehr zu sagen? Steht die Demokratie über den Menschenrechten?
  4. Polarisierung:
  5. Im Vorfeld wurde das "Schwarz-Weiss -denken" geschürt. Differenzierungen und Entgegenkommen war nicht gefragt.




Nachtrag vom 18. Mai, 2008: Die Analysen in der Sonntagspresse bestätigt die obige Analyse:
  • Die "NZZ-am Sonntag" schreibt: Der grosse Debattierer ist Christoph Blocher nicht mehr. Er habe Schwächen gezeigt:
    • ringt mit Worten
    • bringt es nicht auf den Punkt
    • verheddert sich
    Er profitiere nur noch im Monolog. Damit sind die grossen Aufmärsche bei seinen Reden gemeint und die ausführlichen Darlegungen bei Teleblocher.
    • Die "Sonntags- Zeitung:" Widmer -Schlumpf wirkte entspannt und selbstsicher: Patrick Rohr über Christoph Blocher: Er polterte. Damit konnte er bei seiner eigenen Klientel trumpfen, dürfte es aber nicht geschafft haben Leute aus dem anderen Lager zu überzeugen. Eveline Widmer Schlumpf hatte eine starken Auftritt. Sie gab sich magistral-zurückhaltend. Sie wirkte während der der ganzen Sendung entspannt und selbstssicher und überzeugte mich Sachwissen.
    • "Sonntag.ch": Das grosse Duell und wie die beiden abschnitten. Sonntag.ch brachte eine aufschlussreiche Analyse, in der die beiden Kontrahenten hinsichtlich Körpersprache, Schlagfertigkeit, Überzeugungskraft und Gesamtauftritt systematisch verglichen werden.
      • Körpersprache: Blocher ruderte zwar mit den Armen, wirkte aber müder. Widmer-Schlumpf zeigte Nervosität, hüpfte zuerst herum, sprach zu schnell und in zu hoher Tonlage.
      • Schlagfertigkeit: Blocher glänzte seltener als sonst, las oft ab. Es fehlte der Witz und die originellen Beispiele, doch sassen die Seitenhiebe. Widmer-Schlumpf zeichnet sich durch Dossierkenntis aus. Sie wirkte weniger spritzig als die beiden Mitstreiter.
      • Überzeugungskraft: Blocher überzeugte nur seine Fans, aber nicht die Skeptiker. Widmer -Schlumpf hat evt. Unentschlossene gewinnen können.
      • Gesamtauftritt: Blocher konnte seien Stärken nicht ausspielen, weil er nicht Hauptakteur war. Widmer-Schlumpf bestand den Härtetest. Sie widersprach dem Vorgänger mehrfach.



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