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www.rhetorik.ch aktuell: (03. Mai, 2007)

Das Duell in Frankreich

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Ségolène Royal und Nicolas Sarkozy duellierten sich in einer einer zweieinhalb stündigen TV-Debatte vor Mikrofon und Kamera. 20 Millionen Zuschauer sahen das Duell. Das ist ein Publikum wie bei einem Fussball Finalspiel. Ex-Präsident Valéry Giscard d'Estaing hatte vom "Höhepunkt der Kampagne" gesprochen. Er selbst hatte in der ersten TV-Debatte in Frankreich 1974 die entscheidenden Punkte für seinen Wahlsieg gegen Francois Mitterrand geholt. Nach Umfragen lag Royal vor dem Duell immer noch knapp hinter Sarkozy zurück.

Die beiden sitzen an einem runden Tisch, zwei Meter von einander getrennt. Nicht an einem Stehpult, wie es Sarkozy geschätzt hätte. Das Los hatte entschieden, dass Royal auf der linken Seite sitzt. Das Duell ist für Sarkozy eine grosse Herausforderung. Auf Korsika soll sich der 52-Jährige gezielt auf das Duell vorbereitet haben. Seinem Trainingsteam gehörten auch vier Frauen an, um den Schlagabtausch mit weiblichen Partnern zu trainieren.


Es war sofort spürbar, dass sich beide Kontrahenten gut vorbereitet haben. Beide trugen dunkle Kleidungen und sassen sich korrekt und gut trainiert "mediengerecht" gegenüber. Ségolène Royal sass überzeugend da und nahm ständig Blickkontakt mit dem Gegner auf. Sowohl Haltung und Gestik als auch die Stimme überzeugten. Sie wirkte über weite Strecken kompetent und engagiert. Wahrscheinlich wurde ihr angeraten, Sarkozy hart anzugreifen und offensiv ins Streitgespräch hineinzugehen. Sofort ging sie auf den Gegner los und nutzte die Fragetechnik. Das belebte zwar den Dialog, doch übertrieb sie zu oft mit lästigen Unterbrechungen und verlor damit bestimmt Bonuspunkte. Die angriffige Art wirkte für mich antrainiert und dadurch unglaubwürdig. Bei früheren Auftritten hatten wir schon festgestellt, dass Royal lieber Fragen stellt als eindeutige Aussagen macht. Auch Sarkozy hatte sehr wahrscheinlich Anweisungen bekommen, ruhig zu bleiben und die Nerven nicht zu verlieren. Die Unterbrechungen konnten ihn nicht irritieren. Er konterte als zahmer Macho.


Erst im zweiten Teil übernahm er selbst die Destabilisierungstechnik des Unterbrechens. Er versuchte es auch mit Unterbrechungen und gezielten Gegenfragen. Wenn er gestört wurde, bat er jedoch Madame ruhig und "bewusst?" in freundlichem Ton, ihn doch antworten zu lassen. Bei Sarkosy hatte ich oft das Gefühl, dass er nicht immer völlig präsent war. Während Royal sprach, spielte er zu oft mit dem Stift. Dies signalisierte Nervosität. Im Gegensatz zu Royal, suchte er mit den Augen - während des Sprechens - immer wieder den Kontakt mit dem Journalistenpaar. Sarkozys angemessene Gestik unterstützte ebenfalls seine Aussagen. Mich störte es nur, wenn er mit dem Zeigefinger gegen die Duellantin zeigte, als wollte er sie abschiessen oder wenn er sich zu stark nach vorne neigte. Dies wirkte zu aggressiv. Es gab Passagen, da sprachen beide durcheinander. Der Moderator musste dann eingreifen. Das Bemühen, überlegen und in angemessenem Tempo mit freundlicher Stimme (im Kammerton) zu sprechen war offensichtlich. Die Emotionen, das Engagement fehlte dennoch nicht.


Analyse während des Duells: Für uns ist es schwierig, eine Siegerin oder einen Sieger nach Punkten auszumachen. Beide agierten rhetorisch geschickt. Richtig überzeugt hat uns niemand. Es war ein Duell, bei dem es nicht nur um rechts oder links ging. Es kämpfte ein Manager - mit ich-Aussagen - der mit einem Schachspiel - gegen eine Landesmutter - die mit wir- Aussagen - einen Boxmatch gewinnen wollte.

Beide haben sicherlich ihre eigene Wählerschaft überzeugt. Es ist nach unserer Meinung sinnlos, in diesem Duell nach einem Gewinner zu fragen. Dank Training haben beide ihre Klischees erfolgreich überwunden. Ségolène Royal musste kompetent wirken und Nicolas Sarkozy durfte nicht ausrasten - das ist beiden gelungen. Spannend wird es zu sehen, in welches Lager die Unentschlossenen gehen. Das Rennen bleibt offen.



Nachtrag vom 5. Mai, 2007: Sarkozy bleibt Favorit:

Auch nach der Fernsehdebatte ist Sarkozy Favorit für die Wahl. Die internationale Presse beschreibt das Rede-Duell zwischen Nicolas Sarkozy und Ségolène Royal als harten Schlagabtausch. Generelle Meinung: Gewonnen haben beide Kandidaten.


Einige Reaktionen:
  • "Libération" "Ségolène Royal hat bewiesen, dass sie in der Lage ist, Präsidentin der Republik zu werden. War Sarkozy schlecht? Im Gegenteil: Doch trotz seiner ganzen Willenskraft hat der imperiale Führer der Rechten seine Rivalin doch nicht beherrscht".
  • "Le Figaro": "Nicolas Sarkozy hat sich, präzise und selbstsicher, nicht zu einem Übermass an Selbstzufriedenheit hinreissen lassen, was noch alles hätte umreissen können".
  • "El Mundo": "Sie setzte Sarkozy mächtig unter Druck, griff ihn pausenlos an und versetzte ihm so manchen Fusstritt. Doch der Kandidat der Konservativen gewann das Duell, weil er sich als Staatsmann positionierte."
  • "Corriere della Sera": "Es war die letzte Prüfung, vielleicht die wichtigste. Und auch dieses Mal hat Ségolène Royal die Prüfung bestanden."
  • "Spiegel": "Er gab sich mal bissig, mal galant, sie mal giftig und wieder höflich kühl. Ein harter Schlagabtausch ohne technischen K.o. Sarkozy spricht sogar davon, dass Madame die Boxhandschuhe rausholt".
  • Politik-Kommentatorin Anita Hausser von LCI TV: "Ich denke nicht, dass einer der beiden das jeweils andere Lager überzeugen konnte" Beide hätten in erster Linie ihre jeweils eigene Wählerschaft erreicht.
  • Der in Frankreich bekannte Wahlexperte Christophe Barbier vom Nachrichtenmagazin "L'Express" meinte, es habe zwei Gewinner gegeben, Keiner der Kandidaten sei dem anderen in die Falle gegangen. Sarkozy habe sich nicht aus der Ruhe bringen lassen und Royal habe es geschafft, nicht inkompetent rüber zu kommen.


Quelle: 20 Min
Erste Umfragen zeigten, dass bei der Wahl Sarkozy die Nase vorne haben dürfte. Er ist beim TV-Duell seiner Favoritenrolle offenbar gerecht geworden. Laut einer ersten Umfrage des Instituts Opinionway und des Nachrichtensenders LCI erschien der bürgerliche Kandidat einer Mehrheit der Befragten glaubwürdiger als Royal. 53 Prozent gaben an, Sarkozy sei am Vorabend "überzeugender" aufgetreten, nur 31 Prozent sagten das von Royal.




Nachdem 3/4 der Stimmen gezählt worden sind, scheint Sakozy die Wahl mit 53 % und einer Stimmbeteiligung von 85 zu gewinnen.


Nachtrag vom 13. Mai, 2007: nach dem Wahlsieg ruhte sich Sarkozy auf der 60 Meter langen Yacht des Milliardärs Vincent Bolloré aus. An Kritik mangelte es nicht. Patrick Menucci, ein früherer Berater von Royal meinte, das sei ein schlechtes Signal für ein Land, wo 53 Prozent weniger als 800 Euro pro Monat verdienten.




Nachtrag vom 19. Mai, 2007: Geschickter als mit seinen Ferien hat sich Sarkozy bei der Kabinettsbildung verhalten. Sarkozy hat die Regierung für Linke und Liberale geöffnet. Dieser Coup hat die Opposition verwirrt.



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