Kürze mit Würze
(ungekürzte Textversion)
Im "Südkurier" stiess ich auf ein Interview mit dem neuen
Bodenseeliteraturpreisträger, dem Schaffhauser Schriftsteller
Dr. Markus Werner, einem der bedeutendsten lebenden Schriftsteller, der
für seine Werke bereits viele wichtige Preise entgegennehmen durfte.
Mir fielen in diesem Interview seine kurzen, treffenden Antworten
auf. Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Schriftsteller
medienrhetorisch professionell antwortet. Ich fuhr deshalb am Sonntag,
dem 26. November nach Überlingen (Kursaal) zur Preisverleihung. Ich ging
davon aus: Ein Mensch, der bei Befragungen eines Journalisten so bedacht
und treffend antworten kann, wird bestimmt auch vor grossem Publikum eine
gute Rede halten. Wer überlegt antwortet und aussagekräftig -
vor allem adressatengerecht - formulieren kann, hat meist das Zeug zum
guten Rhetoriker. Nur wer klar denkt, redet auch gut. In seinen Werken
zeichnet sich Werner durch sein hervorragendes Sprachgefühl aus. Ich
habe ihn schon früher als sehr bescheidenen, zurückhaltenden
Menschen erlebt. Er wohnte bis vor vier Jahren in einem alten Bauernhaus
im abgelegenen Opfertshofen. Markus Werner liebt seit je die Distanz. Er
tritt nicht gerne ins Rampenlicht. Als ein Werk von ihm zum Bestseller
wurde, war er erstaunt. Seine Passion war immer das Schreiben - nicht
das Reden. Öffentliche Auftritte meidet er bewusst. Markus Werner findet
von sich, er sei kein guter Redner. Bei der Preisverleihung musste er nun
ein paar Worte sagen und wunderte sich nach der Rede, dass ich mich als
Kommunikationsberater überhaupt für diesen Auftritt interessiert
habe. Er sagte mir, er sei ja kein guter Rhetoriker. Markus Werner bewies
aber im Kursaal von Überlingen, dass dem nicht so ist. Medienrhetorisch
und rhetorisch können wir von ihm Grundsätzliches lernen,
obschon er nicht das Bild eines extravertierten Redners vermittelt,
Analysieren wir zuerst sein Antwortverhalten im erwähnten
Zeitungsinterview (vor der Preisverleihung im "Südkurier" vom 24.11. 06)
"Südkurier": Worin liegt der Reiz eines Romans für Sie?
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Markus Werner:
Ich beneide alle, die sich in unterschiedlichen literarischen Gattungen
und Genres souverän bewegen. Aber in gewisser Weise kann man
das auch in einem Roman tun, da er unbeschränkte gestalterische
Freiheiten zulässt. Der Roman darf einfach alles, das ist für
mich sein Hauptreiz.
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"Südkurier":
Verraten Sie uns, woran Sie momentan arbeiten?
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Markus Werner:
Zurzeit arbeite ich daran, mich damit abzufinden, dass ich zur Zeit
nicht arbeiten kann.
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"Südkurier":
Werden Sie bei der Preisverleihung eine kleine Rede halten?
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Markus Werner:
Nein, eine sehr kleine.
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Analyse:
Die Bewunderung jener Schriftsteller, die sich in allen literarischen
Gattungen souverän bewegen können, bestätigt die
Bescheidenheit des Preisträgers. Wir erfahren konkret, weshalb
er sich für Romane entschieden hat (Er veröffentlichte eine
beunruhigende Romanserie mit sieben Romanen). Die Antworten sind
alle kurz, aber gewürzt mit Überraschungen: Werner arbeitet
daran, dass er sich damit abfinden muss, zurzeit nicht arbeiten zu
können. Das Nein nach der Frage: Werden Sie eine kurze Rede
halten?- beziehen die Leser zuerst auf die Rede. Man glaubt, Werner
werde keine Rede halten, dann folgt die Überraschung: Das Nein bezieht
sich überraschenderweise auf das Wort klein. Nein!! Die Rede wird
für Markus Werner nicht klein, sondern sehr klein
sein. Alle Antworten sind eindeutig, kurz, bedacht, humorvoll, schlagfertig.
Markus Werner nimmt jedes Wort ernst.
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Es lohnt, sich die Zeit zu nehmen, auch die kurze Rede von Markus Werner
nach der Überreichung des Bodensee-Literaturpreises im Kursaal von
Überlingen genauer zu lesen:
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Verehrte liebe Gäste,
An einem Tag Ende September dieses Jahres habe ich einen Anruf aus
Deutschland. Eine sehr professionell klingende Frauenstimme wollte mich
im Namen der Nordwestdeutschen Klassenlotterie nötigen zum neuen
Kunden und Mitspieler zu werden(Publikum lacht). Noch bevor sich die Dame
rhetorisch entfalten konnte (Publikum: Lacher), sagte ich so barsch
wie nur möglich, ich sei nicht interessiert. (Zuhörer lachen)
Schlagfertig fragte die Anruferin: Sie sind also nicht interessiert
zum Beispiel 5000 Euro oder noch sehr viel mehr zu gewinnen? Doch
natürlich, dachte ich und sagte schlagfertig Nein und legte auf.
Zwei Stunden später wieder ein Anruf. Wieder eine deutsche Nummer
auf dem Display. Diesmal eine Männerstimme. --- Süddeutsche
Klassenlotterie.
(Anwesende: Wieder schallendes Gelächter). Der Mann sprach nicht nur
akzentfrei. Er teilte mir auch mit, dass ich 5000 Euro gewonnen
hätte (Publikum: Erneutes Gelächter) beziehungsweise den
Bodenseeliteraturpreis. (Zuhörer klatschen). Ich legte nicht
auf. Ich freute mich und bat trotzdem um eine Nacht Bedenkzeit. Nicht weil
der Anruf aus Überlingen und nicht aus Stockholm kam (Publikum: Lacher,
grosser Beifall), sondern weil ich Zweifel hatte, ob ich den Strapazen
einer Preisverleihung noch gewachsen sei. Anderntags telefonierte ich
nochmals mit dem Kulturamt, nahm dankend an und fragte nach früheren
Preisträgern. Meine Reaktion auf die Antwort las ich später
im Südkurier so.
Weder bei Friedrich Georg Jünger noch bei Martin Walser hatte Werner
einen Laut von sich gegeben (Publikum lacht). Und auch ein Golo Mann
haben ihn nicht beeindruckt (Zuhörer: Gelächter, Akklamation).
Ich muss sagen, es war mir peinlich, mich so gezeichnet zu sehen.
Zwar stimmt es, dass ich auf Lautgebung verzichtet habe. Aber gibt es
nicht auch ein respektvolles Schweigen? Die Wahrheit ist, dass ich -
halb zaghaft, halb stolz - in die Fussstapfen der Genannten trete -
und auch der Ungenannten. Die Wahrheit ist aber auch, dass ich, wie
der Südkurier korrekt rapportierte, Hörbares erst dann von mir
gab, als ich vernahm, dass mein Freund und Kollege Hermann Kinder schon
seit 1981 zum Kreis der Geehrten gehöre. (Pause) Hermann Kinder
ist übrigens nicht nur meine wichtigste Bodenseebezugsperson --,
er war es auch, der mir mit gutem Rat bestand, als mir im Dezember vor
zwei Jahren mein sechzigster Geburtstag drohte. Allen Festivitäten
abhold, war ich damals zusammen mit meiner Gefährtin, auf der
Suche nach einem hübschen Versteck. Denn ich befürchtete
von den Gratulanten mit Früchtekörben heimgesucht zu
werden ( Im Publikum einzelne Lacher) und schloss in einem Anflug von
rätselhafter Selbstüberschätzung nicht einmal aus, dass
mich das offizielle Schaffhausen feiern können wollte, womöglich
in Form eines stadtmusikalischen Ständchens. Im Innersten war ich
freilich bewusst, dass solche Gesten eher für Schwingerkönige,
Schützenkönige oder (längeres Gelächter im Saal
überdeckt einige Worte) .... vorgesehen sind. Wie auch immer:
Wir suchen nach einem Refugium schwankten zwischen kanarischen und
karibischen Inseln und holten Rat bei Freund Kinder. Der empfahl
uns die Riviera die Riviera des Bodensees. Er empfahl uns Überlingen
(Zuhörer: Geraune, dann heftiger Applaus) -- und bat einen diskreten
Eingeborenen er weilt unter uns heute und (wieder wohlwollendes Geraune
im Publikum überdeckt nochmals ein paar Worte)... und am Schluss
zugegen. Ich kürze jetzt ab. Keine Karibik. Dafür ein Zimmer
mit Seesicht im Bad-Hotel. Allerdings ohne Minibar mit Rauchverbot
was der Gesundheit förderlich war - (dann folgt ein Einschub
mit zurückgenommener Stimme): Dem Wohlbefinden etwas weniger
(Das Publikum weiss: Werner war ein passionierter. Geraune im Saal.
Einige lachen). Trotzdem genossen wir die stillen Wintertage am See. -
Es nebelte und nieselte. Die Stadt schien im Schlaf zu liegen. Die
Stadt war eine kühle schlafende Schöne, die mich anzog und
der ich gelobte, wiederzukommen, wenn sie wach war und beschwingteren
Pulses sein würde. (Zuhörer: kurzer Applaus). Das war denn
auch alles der Fall im Juni dieses Jahres, als ich sie endlich wieder
sah und mich - diesmal im gastlichen rauchfreien Seehof zehn Tage lang
beleben liess vom südlichen Charme dieser Stadt. Dass Überlingen
meine Zuneigung erwidert und mich hier und heute mit einem Preis
verwöhnt, freut mich mehr als ein Lotteriegewinn. Zwar haben auch
Preisvergaben Zufalls- und Lotteriecharakter. Aber dieser Umstand sei
jetzt umständehalber freundlich verdrängt (Publikum lacht).
Ich danke der Stadt mit ihren Vertretern sehr herzlich für die
Ehrung, dem Preisgericht für seine Suche und sein Finden. Mario
Andreotti für die so reiche Laudatio. Den - beiden Jünglingen
sie sind glaub ich nicht mehr hier ich habs genossen, dass es mal nicht
Mozart war - (Zuhörer: Lautes Lachen und heftiger langer Applaus)
Ja - und der letzte Satz ist: Und Ihnen allen für Ihr Kommen!
(NUN FOLGT EIN TOSENDER SCHLUSSAPPLAUS)
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ANALYSE:
Markus Werner packt das Publikum innert Sekunden mit einer
amüsanten Telefongeschichte. Dank dieses narrativen Elementes
kommt er ohne Umschweife auf humorvolle Art zum aktuellen Thema,
der Preisverleihung. Dem Schriftsteller gelingt es, den bis auf den
letzten Platz belegten Saal in seinen Bann zu ziehen, in den Bann seiner
wohldurchdachten Sprache. Die Stimmung, die Stimme stimmt mit dem Redner,
dem Publikum und mit der Situation überein. Jedes Wort - treffend
gewählt - sitzt. Bei Präsentationen raten wir in der Regel
immer, frei zu reden - nur mit Stichwortzetteln versehen- und empfehlen,
aufs Ablesen zu verzichten höchstens beim Zitieren (Da gibt es die
lernbare Technik des Lesens mit schweifendem Blick). Markus Werner hielt
sich jedoch konsequent an sein vorformuliertes Manuskript und bewies
damit, dass auch das wortwörtliche Ablesen eines Textes rhetorisch
korrekt sein kann. Dies kommt jedoch in der Praxis nur dann gut an,
wenn es so gemacht wird, wie es der Preisträger demonstriert hat. Er
stieg nämlich gedanklich voll und ganz in seinen Text hinein, ohne
das Publikum auszuklammern. Immer wieder blickte er einzelne Personen
im Saal direkt an. Bei den meisten Dozenten und Politikern, die ein
Manuskript ablesen, wird aus einer Rede eine Vor-lesung , genauer, ein
Monolog, indem die Vortragenden den Text herunterleiern, ohne ihn neu
zu gebären. Diese abgespulten toten Lesungen sind stets langweilig
und überzeugen nie. Obschon sich Markus Werner nicht als guten
Rhetoriker sieht, lebte sein vorformulierter Text. Weshalb? Er taucht
gedanklich ständig voll und ganz in seinen sauber vorformulierten
Text ein den er seinem Publikum vermittelt. Gedanken überzeugend
zu präsentieren ist ein mentaler Akt. Die rhetorischen Frage:
"Gibt es nicht auch ein respektvolles Schweigen?"
ist auf den Redner zugeschnitten .
Für mich stimmte in Überlingen das Wichtigste überein:
Die treffend formulierten Worte des Redners, seine Gedankenfolgen, die
sorgfältig bedachte Wortwahl. Alles war in der Vorbereitungsphase
wie auch bei der Wiedergabe stets - adressatengerecht - auf die
Situation im Kursaal in Überlingen zugeschnitten. Der Redner blieb
während der ganzen Rede immer er selbst. Er ist kein Showman. Er
spielt nie Theater, sondern er gibt sich immer so, wie er ist, wie man
ihn kennt. Was das Publikum besonders zu schätzen wusste, war die
angenehme bescheidene Zurückhaltung. Vor allem der Humor und die
Freude am Formulieren. Humor als Würze ist für mich weder Witz,
noch Satire, noch Ironie, Humor kommt von Herzen. Schade, dass Markus
Werner noch nicht weiss, dass er trotz des Ablesens des Textes zu den
guten Rhetorikern zählt. Seine medienrhetorischen Antworten im
Südkurier wie auch die Rede anlässlich der Preisverleihung
sind Beweis genug, dass dem so ist!
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Erkenntnis:
Bei der Medienrhetorik wie bei der angewandten Rhetorik gilt immer
dasselbe: Nur wer klar denkt, kann auch klar und verständlich reden.
Politiker, Manager und Führungskräfte überzeugen nur
dann mit ihren Worten, wenn die Botschaften mit der eigenen Person und
Einstellung übereinstimmen. Viele könnten somit von Markus
Werner lernen. Falls jemand meine positive Beurteilung als Eloge
empfindet, müsste er bedenken, dass man Markus Werner sicherlich
zum freien Reden bringen könnte. Doch würde ich diesem
Schriftsteller nie das Reden nach Stichworten aufzwingen. Wenn jemand
bei einem Referat verstanden wird und die Zuhörer angesprochen
wurden, hat er das Ziel erreicht wie auch immer. Für mich
geht es bei meinen Analysen nicht um Kritik nur um der Kritik willen.
Die fehlende Extrovertiertheit eines Redners ist gegeben. Zur fehlenden
Extravertiertheit Werners: Diese sollte nicht antrainiert werden.
Werners Persönlichkeitsmerkmal der Bescheidenheit, d.h. seine Art,
sich zurückzunehmen, stört nicht im Gegenteil, sie macht den
Sprachkünstler sympathisch.
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Fazit:
Es heisst: In der Kürze liegt die Würze. Markus Werner
veranschaulicht zusätzlich: Kürze allein genügt
nicht. Es braucht auch Würze (Humor): Kürze mit Würze.
Vor allem aber die Fähigkeit, sich während des Sprechens in
die vorbereiteten, klar strukturierte Gedanken zu versenken.
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