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www.rhetorik.ch aktuell: (28. Juli, 2006)

Umstrittene Fotografien von Kleinkindern

Aktuell Artikel über Kunst Wo sind die Genzen der Kunst Bewusst provozieren und schockieren


Die Fotokünstlerin Jill Greenberg hat eine Gallerie von heulenden Kinder gemacht. Die Tränen sind echt, die Bilder sind nachträglich noch etwas nachbearbeitet werden. Die Bilder waren bis zum Juli in der Gallerie Paul Kopekin in Los Angeles zu sehen. Die Bilder erinnern Greenberg an die Hilflosigkeit und den Zorn, den sie selbst über die politische und soziale Situation empfinde. Andere hingegen sehen hinter den wutverzerrten Gesichtern der Kleinen "Kindesmissbrauch". Es wurde sogar der Vorwurf der "Kinderpornografie" geäussert.

Die Bilder sind online immer noch auf der Kopei Gallerie zu sehen. Urteilen Sie selbst.
Die umstrittene Photoausstellung "Crying Children" mit Kindern, die von der Fotografin Jill Greeberg bewusst zum Weinen gebracht wurden, wirft einige kritische Fragen auf. Den Kleinkindern musste Leid zugeführt werden, damit ihr Weinen nicht gespielt wirkte und echt überkam. Leid ist bekanntlich so faszinierend wie Gewalt, Naturkatastrophen oder Tod. Leiden gehört zum Leben wie auch Freude. Das wissen Künstler. Verschiedene Fotografen wurden preisgekrönt für ihre Krieg- oder Unfallbilder, doch ging es bei jenen Bildern stets um Reportagen, d.h. es wurden reale Situationen abgelichtet. Die Dokumentaraufnahmen wurden nicht inszeniert. Greeberg hingegen schafft Leid bei Kindern, nur eines Projektes wegen. Mit Kindern, die übrigens nicht selber darüber entscheiden konnten, ob sie das fragwürdige Arrangement mitmachen möchten oder nicht. Die Selbstschutzbehauptung der Künstlerin, man habe ja die Kinder nicht physisch gequält, man hätte ihnen beispielsweise nur ein Spielzeug weggenommen, ist für uns nicht relevant. Wenn zwei- bis dreijährige Kinder missbraucht werden für ein persönliches "Kunstwerk", ist das Vorgehen fragwürdig. Menschen werden nämlich künstlich in eine Gefühlswelt hinein manöveriert. Es geht um das Spiel mit der Psyche- um "das zur Schau stellen" von Emotionen. Auch beim bekannten Schauspieler Klaus Jürgen Wussow war es für uns unbegreiflich, dass der Demenzkranke jüngst von seinen Verwandten im Pflegeheim den Journalisten der "BUNTE" gleichsam vorgeführt und in menschenunwürdiger Art und Weise den Kameras preisgegeben wurde. Selbst, wenn die Angehörigen auf das Geld der "BUNTE" angewiesen waren, bleibt auch diese Aktion für uns unentschuldbar. Alzheimer-Demenzkranke lösen bei Betroffenen, Angehörigen und beim Publikum gleichermassen Erschrecken aus. Denn die Krankheit berührt den Menschen im tiefsten Innern, in seiner Persönlichkeit. Sie lässt die Vergangenheit verlöschen, zerstört die Orientierung in der Gegenwart und nimmt die Zukunft. Wussow war somit sicherlich unfähig, sich gegen das inszenierte "Medienspiel" zur Wehr zu setzen. Wenn ein Mensch nicht mehr selbst darüber befinden kann, was mit ihm geschieht, sind die Angehörigen für derartige Aktionen verantwortlich.

Auch bei den Kleinkindern darf deshalb nicht nur der Fotografin die Schuld für das unwürdige Vorgehen in die Schuhe geschoben werden. Auch die Eltern der Zwei- bis Dreijährigen tragen eine Mitverantwortung am "Kindsmissbrauch" beim "Crying Children Event. Intime Lebensbereiche zu materialisieren ist purer Voyeurismus. Er ist so degoutant wie gewisse Produkte in Kunstausstellungen, die als einziges Qualitätsmerkmal vielfach nur noch "Provokation als Selbstzweck" haben und für die angeblichen Künstler grenzenlose Narrenfreiheit fordern. Ein verantwortungsvoller Künstler kennt ihn jedoch noch, den freiwilligen Ehrenkodex, der - trotz liberaler Haltung - gewisse Grenzen setzt.



Regula Stämpfli,
Bildquelle:quajou.ch
Die Berner Politologin Regula Stämpfli schreibt uns dazu:

"Jetzt ist einmal mehr nicht nur der gute Geschmack, sondern der gesunde Menschenverstand überschritten. Denn, Hand aufs Herz. Wer will schon weinende Kinder sehen? Ausser Monster, die sich an weinenden Kindern aufgeilen? Weinende Kinder berühren zutiefst und eigentlich sollte unsere Welt spätestens seit John Locke und Jean Jacques Rousseau darauf gerichtet sein, weinende Kinder, die quasi stellvertretend für das Unmenschliche der Menschen sind, zu verhindern. Selbstverständlich verbirgt sich dahinter ein Romantizismus des natürlichen Urzustandes des Menschen, doch ebensosehr eine tiefe Menschlichkeit, die bemüht ist, Leid zu vermeiden. Wenn die Künstlerin doch Zorn und Hilflosigkeit ausdrücken will, warum bringt sie dann die Kinder und nicht sich selber zum weinen?
In meinem Buch "Vom Stummbürger zum Stimmbürger" habe ich unter dem Marketing der Politik, die Monstrosität der kulturellen Moderne zur Sprache gebracht, S. 113 ff. Zunächst kreierte das nationalsozialistische Mordregime mit dem arischen Körper und Leni Riefenstahls "Triumph des Willens" ein ästhetisches Kleid. Der Körper geriet in den Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung. Während der öffentliche arische Körper als gesunder Volkskörper zelebriert wurde, wurde der nichtarische, der private Körper der rassisisch anderen zur Vernichtung preisgegeben. Diese Bildersprache wiederholt sich nun gerne in ihrer Verkehrung in der Pornographie. Da wird unter dem Deckmantel "Kunst" der menschliche Körper der Zerstückelung und dem Voyerismus preisgegeben. Immer unter dem Deckmantel einer irgendwie "kritisch" formulierten politischen Botschaft. Diese Botschaft soll vertuschen, dass Menschlichkeit verletzt wird. Wie bei Hirschhorns Anpissen eines schweizerischen Magistraten und wie jetzt aktuell bei den weinenden Kindern. Diese Materialisierung aller Lebensbereiche verkauft sich enorm gut. So hat die Ausstellung dieser selbsternannten Künsterlin dank der Proteste zum Renner entwickelt. Offenbar gilt in der modernen Medienwelt immer: Schlagzeilen sind immer gut. Ob gut oder schlecht. Die englische Journalistin Julie Burchill meinte schon vor Jahren dazu: "Es gibt nichts Besseres, als heutzutage ein Kindervergewaltiger zu sein. Kinderpornographie gilt in Kunstausstellungen chic, Vergewaltigung gehört zum literarischen und filmischen Must, der Sado-Maso-Kult zur sexuellen Norm. Was sich in der postmodernen Bildersprache an Herrschaftssymbolen des Menschen über andere Menschen entwickelt hat, übersteigt die symbolische Inszenierung des Normalen wie Disneyworld den alten Flohzirkus.

Offenbar florieren Skandaljournalismus, spekulative Theorien, in aller Öffentlichkeit gepflegte Flegelei und reine Pornographie alle unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit und zerstören jedesmal wieder das, was Menschen auch zusammenhalten sollte: Der gesunde Menschenverstand, sich degoutiert von solch falsch verstandenen Freiheit abzuwenden."


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