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Warum polarisiert diese Frau?

von Marcus Knill

Die folgende Analyse ist in der Zeitschrift Persönlich (www.persoenlich.com), dem online Portal der Schweizer Kommunikationswirtschaft im May, 2006 erschienen. Der Abdruck hier ist mit Genehmigung von "Persoenlich" erfolgt.

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Der Autor des Zitates beim Schlusstext (Erkenntnis) ist Hans-M. Hofmann unser deutscher Mitarbeiter und Berater. (Sein Name wurde beim Setzen versehentlich ausgeklammert)

Weshalb polarisiert diese Frau?

Die siebenfache Mutter und deutsche Familienministerin Ursula von der Leyen polarisiert vor allem nach ihren Medienauftritten. Dies machten Kommentare und Leserbriefe deutlich. Wir möchten hier diesem Phänomen nachgehen. Welches könnten die Gründe sein, die dazu geführt haben, dass diese Politikerin so gegensätzliche Reaktionen auslöst?Verunsichert ihr engelhaftes Aussehen gegenüber ihrer unbeugsamen Zielstrebigkeit? Irritiert die rhetorische Perfektion der Familienministerin?

Ursula von der Leyen scheint alles in sich zu vereinen: Medienrhetorische Kommunikationsfähigkeit, Vereinbarkeit von Kindern und Karriere, sowie aussergewöhnliche Intelligenz.

Die Senkrechtstarterin trat 1996 in die CDU ein. Sie ist ausgebildete Aerztin. Zur Übermutter geworden, forderte sie als Politikerin Kindergartenplätze zum Nulltarif. Während ihrer Bilderbuchkarriere trat sie immer wieder in Fettnäpfchen -ohne jedoch je Schaden zu nehmen.So wurde ihr Vorschlag des Steuerabzuges bei den Kinderbetreuungskosten von der SPD zerpflückt. Mit ihrem christlichen Kreuzzuggemeinsam mit der evangelischen und katholischen Kirche - empörte sie die SPD und FDP, aber auch die Grünen. Zuletzt begab sich Ursula von der Leyen als irritierende Rollenbrecherin ins Schussfeld der Kritik. Mit den staatlich subventionierten Vätermonaten (bezahlt wird nur, wenn auch der Vater zu Hause bleibt) erboste sie viele CDU Politiker, welche den Eltern nicht vorschreiben wollten, welcher Ehepartner zu Hause bleiben soll. Auch diesen Aerger hinsichtlich Zwang zum Wickel-Volontariat der Väter überstand die Familienministerin unbeschadet, sicherlich auch dank der Unterstützung der Bundeskanzlerin.In der Schweiz erlebten wir eine analoge Situation bei Bundesrätin Micheline Calmy-Rey. Sie änderte unerwartet die Spielregeln bei der Rekrutierung ihres diplomatischen Personals und lehnte von 14 Kandidaten 6 nur deshalb ab, weil sie Männer waren. Dieses willkürliche Vorgehen (Zwang zur Annäherung an die Frauenquote. Geschlecht zählt mehr als Qualifikation) führte bei der engagierten Bundesrätin, ähnlich wie bei Ursula von der Leyen zu Protesten. Doch perlte auch in diesem Fall die Kritik an der beliebten Bundesrätin ab. Beide Frauen haben einen Bonus in der Medienwelt.

Verhalten vor der Kamera

Ursula von der Leyen wirkt immer freundlich, ist stets gepflegt und situationsgerecht gekleidet. Sie verliert nie dieNerven. Ob diese Perfektion zu penetrant wirkt?Ein Fernsehkonsument liess verlauten: Ich möchte mal ihre Haarklämmerchen klauen und ihre Frisur verwuscheln.Sogarder Name von der Leyen passe eher zu einer Heldin aus einem Rosamunde Pilcher Roman.Möglicherweise irritieren von der LeyensMedienauftritte, weil tatsächlich alles zu perfekt zu sein scheint.Wir haben es bei Bundesrat Furgler vor Jahren erlebt: Für die Bevölkerung waren seine fehlerlosen Formulierungen suspekt. Es wurde damals behauptet, Bundesrat Furgler habe Fehler einbauen müssen, um Akzeptanz beim Volk zu gewinnen. Böse Zungen sagten: Nachdem der makellose Rhetoriker gewisse Schwächen bewusst gezeigt habe, sei er viel glaubwürdiger geworden. Bei seinen brillanten Auftritten habe er vorher viel zu abgehoben gewirkt.Er wirkte als Perfektionist wie ein Heiliger, ein Uebermensch.Erst durch die kleinen Patzer sei er ein normal sterblicher Menschd.h. ein Politiker zum Anfassen - geworden.

Zur Rhetorik der Familienministerin

Guido Westerwelle sagte in Rostock über von der Leyen:

"Wenn man sie reden hört, gewinnt man den Eindruck, dass der Bundesadler demnächst durch einen Storch ersetzt werden soll."


Tatsächlich versteht es die Familienministerin, ihre Anliegen, ihre Kernbotschaften so zu wiederholen, dass niemand ihre Argumentation zu Familie, Kindern und Rollenteilung überhören kann. Die Botschaften werden stets rhetorisch perfekt vorgetragen. Gestik und Mimik stimmen mit den Aussagen überein. Alles scheint wie von einer Computersoftware berechnet. Vielleicht stören sich deshalb viele an dieser makellosen Rhetorik. Wenige scheinen dieses ständig penetrant Positive auszuhalten. Wir zitieren aus einem Kommentar in der Sendung Mona Lisa (ZDF): Ihre Reformansätze beeindrucken. Ihre Performance auch. Von der Leyen verordnet uns von der Leyen und das mit einem Kekslächeln, das so manche bittere Pille versüsst. (Ihr Vater war einst Chef einer Keksfabrik.) Möglicherweise irritieren auch die gesellschaftspolitischen Inhalte, die nicht zur lieblichen Erscheinung der Politikerin passen.

So wie früher die militanten Feministinnen die Gebärverweigerung forderten, so vehement verlangt die Familienministerin die berufstätige Mutterschaft.Frauen, die sich freiwillig dem Erziehungsauftrag und dem Haushalt widmen, finden bei ihr kein Gehör. Die Formel Kinder, Küche lautet für die Familienministerin neu und unmissverständlich: Kinder und Karriere!Für weite Bevölkerungskreise ist dies aber nicht für jedermann nachvollziehbar. Ursula von der Leyen scheint es auch nicht zu gelingen, den deutschen Frauen das Bild der Rabenmutter in den Köpfen zu verdammen.Wer die Familie vernachlässigt und zu wenig Zeit hat für die Kinder, scheint vom schlechten Gewissen nicht so leicht los zu kommen.Frauen, die sich bewusst der Familie widmen, fühlen sich bei der Mutter aller Mütter viel zu wenig ernst genommen. Nur- Hausfrauenarbeit wird eher belächelt.Dennoch brachte es die Familienministerin fertig, die wichtigsten Entscheidungsträger hinter ihre kompromisslosen Forderungen zu scharen.

Es gibt heute zwei Lager

Die eine Bevölkerungsgruppe respektiert die konsequente Beharrlichkeit der ungewöhnlichen Politikerin und ihren grossen Einsatz für die berufstätigen Frauen (für von der Layen ist Hausfrau kein Beruf).Andere regen sich schon auf, wenn sie die Ministerin am Bildschirm hören und sehen. Von der Leyen wurde möglicherweise auch deshalb zur Reizfigur, weil es kaum vorstellbar ist, dass eine siebenfache Mutter, die vehement die Präsenz der Eltern fordert, persönlich ein Amt ausübt, das unmöglich mit dieser Forderung vereinbar ist. Wenn die Präsenz der Eltern für die Politikerin Priorität hätte, müsste entweder ihr Ehemann diese geforderte Präsenz garantieren oder das Ehepaar von der Leyen müsste Ersatzeltern engagieren d.h. bezahlen,was für eine durchschnittliche Familie selten möglich ist. Wenn die Familienministerin zudem verlangt: Unseren Kindern müssen Werte vermittelt werden, so klingt dies ebenfalls unglaubwürdig, weil die Ministerin in der eigenen Familie diese Wertvermittlung ebenfalls delegiert.

Sequenz:

Antworten der Familienministerin in einem Interview im Spiegel vom 17. Juni 2006:

Spiegel: Sie nehmen auch die Irritiation wahr, die Sie auslösen? Von der Leyen: Wenn ich jemanden verärgere, dann tut mir das immer leid. Inhaltliche Reibung schafft übrigens wie jede Reibung Wärme.
Spiegel: Sie haben Ihre Biografie, Ihre Lebensumstände als Muttervon sieben Kindern sehr demonstrativ ausgestellt, auch das wurde Ihnen zwischenzeitlich zum Vorwurf gemacht. Würden Sie heute sagen, da wäre mehr Zurückhaltung besser gewesen. Von der Leyen: Unter meinen Kritikern gibt es auch ein wenig widersprüchliche Journalisten.Die fragen mich nichts häufiger und intensiver als nach meinen Lebensumständen. Und gleichzeitig kritisieren sie, ich redete zu oft darüber. Ich habe daraus gelernt und versuche, mich zu diesen Fragen so zurückhaltend wie möglich zu äussern.
Spiegel: Warum ist es Aufgabe des Staates, sich darum zu kümmern, wer zu Hause die Wiege schaukelt? Von der Leyen: Kinder haben ein Recht auf Vater und Mutter, das ist bis in die Verfassung hinein verankert.Wenn wir Erziehung wirklich ernst nehmen, dann sollte man beiden gleichermassen finanziell den Rücken stärken.
Spiegel: Die Frage ist, warum Sie die Leute nicht selbst entscheiden lassen, wer zu Hause bleibt? Von der Leyen: Es ist ein Angebot an beide, an Vater und Mutter, sich jeweils für ihre Elternrolle Zeit zu nehmen. Die Eigenheimzulage sollte den Hausbau fördern, aber auch die konnte nur in Anspruch nehmen, wer ein Haus baut.

Analyse:

Die Frage, ob die Irritation wahrgenommen wird, beantwortet von der Leyen nicht. Sie versteht es geschickt, den Reibungsprozess mit den Kontrahenten positiv zu deuten. Reibung schafft Wärme! Bei dieser cleveren Argumentation erinnere ich mich an jenen Psychologen, der behauptet hat, eine Therapie bewirke nur dann etwas, wenn der Prozess Schmerzen bereite.Der Journalist goutiert erstaunlicherweise die ausweichende, beschönigende Antwort der Ministerin und geht leider nicht weiter auf die Analogie mit der Reibungswärme ein. Denn zu viel Reibung könnte auch zu viel Wärme erzeugen.Und zuviel Wärme ist bekanntlich gefährlich. Sie könnte zu einem Brand führen. In der zweiten Antwort lässt die Familienministerin erkennen, dass sie früher zu viel über die eigenen Lebensumstände erzählt hat.Jede Politikerin müsste jedoch wissen, dass sie immer selbst bestimmen kann, wie viel Privatheit sie bei Interviews zulassen will. Wer zuviel von sich preisgibt, darf nichtnachträglich den Journalisten den schwarzen Peter zuschieben. Journalisten dürfen alles fragen. Interviewte müssen selbst entscheiden, wieviel und was sie von sich preisgeben.

Weshalb sich der Staat darum kümmern soll, wer zu Hause bleibt, wird im zweiten Teil des Dialoges damit begründet, dass das Kind gemäss Verfassung ein Recht auf Vater und Mutter hat. Damit hätten aber auch die sieben Kinder der Gesundheitsministerin ein Recht auf Ihre Eltern, die durch die Beruftätigkeit abwesend sind. Von der Leyenverlagert im zweiten Teil der Antwort den Anspruch der Kinder auf die finanzielle Verteilung auf BEIDE Elternteile.Der Journalist greift zwar nach, doch erkennt er bei der zweiten Antwort nicht, dass die Familienministerin erneut seiner konkreten Frage ausgewichen ist, weshalbman die Ehepaare nicht selbst entscheiden lasse, wer zu Hause bleibe.Die Politikerin nutzt eine Analogie. Sie vergleicht die Präsenz des Vaters mit den Zahlungen bei der Eigenheimzulage. Sie glaubt, damit einleuchtend begründen zu können, dass nur dasjenige Elternteil Geld bekommen darf, das zu Hause bleibt. Der Journalist akzeptiert diesen Vergleich, obschon die Analogie mit der Eigenheimzulage hinkt. Wenn nämlich ein Ehepaar ein Eigenheim baut und kauft, bekommen sie GEMEINSAM das Geld. Uebertragen auf die Betreuung des Kindes müsste daraus geschlossen werden: Eine Familie, die ein eigenes Kind nur von einem Elternteil betreuen lässt, müsste auch - wie beim Hausbau - GEMEINSAM das ganze Geld bekommen. Obwohl der Vergleich problematisch ist, hatte von der Leyen mit Ihrer Begründung beim Journalisten Erfolg. Sie hatte immerhin mit diesem Vergleich den Interviewer überzeugt. Wir zitieren eine Pointe von Hans- M. Hofmann, unseres Partners aus Deutschland: "Es scheint am deutschen Wesen zu liegen. Vor einigen Jahrhunderten gab es schon einmal eine Frau mit gleichem Zuschnitt: Hildegard von Bingen. Beide streng christlich, beide Medizinerinnen, beide von sich höchst überzeugt, beide vom Drang besessen, die Menschen nach ihrem Gutdünken zu führen und zu bessern. Hildegard von Bingen wurde überstanden, man wird auch die doktrinäre Ursula von der Leyen überstehen."

Erkenntnis: Menschen irritieren und polarisieren vor allem dann, wenn das Wie und das Was oder das, was gesagt und was vorgelebt wird, nicht übereinstimmen.


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