Gemessen an den heftigen Verbalattacken der letzten Monate war das
Bemühen um so viel Korrektheit vor den Kameras eine Farce. Das
Bemühen um staatsmännisches Gebahren stand im krassen Gegensatz
zu Italiens Medienrealität. Die italienische Presse meinte,
Silvio Berlusconi und Romano Prodi hätten bislang
den niveaulosesten Wahlkampf seit Ende des Zweiten Weltkriegs geliefert.
Der nach Umfragen hinten liegende Ministerpräsident habe dazum am
meisten beigetragen.. In den vergangenen Tagen wurden
Berlusconis Angriffe auf Prodi und sein Mitte-Links-Bündnis noch
ausfallender. Tiefpunkt war der Vorwurf, Linke, speziell Kommunisten,
würden "Babys kochen" und zu Dünger verarbeiten:
"Im China zur Zeit Maos haben sie sie nicht gegessen. Aber sie haben sie gekocht, um
Felder zu düngen. Es ist eine schreckliche Sache - die aber leider
wahr ist." Die Linken bevorzugen rohes Fleisch ... "
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Mit beissender Ironie konterte hierauf ein Kommunist aus Prodis
Wahlbündnis: Die Linken würden Kinder nicht kochen, sondern
immer noch roh essen. China fand zwar das Ganze weniger spassig und
reagierte verschnupft auf Berlusconis Äusserung. Aber nicht nur der
Regierungschef, auch Romano Prodi liess sich auf der Zielgeraden des
Wahlkampfes zu überzogenen Attacken hinreissen. Weil Berlusconi
und seine Leute das Mitte-Links-Bündnis wegen undurchsichtiger
Steuerpläne angriffen, warf der dünnhäutig gewordene
Prodi seinen Gegnern vor, sie argumentierten kriminell. Es handele sich
um "politisches Verbrechertum". "Niemand von uns hat von
Steuersätzen und schon gar nicht von 25 Prozent gesprochen."
In Wahrheit beherrscht Berlusconi das Fernsehen: Seine drei Sender,
über die er die direkte Oberhoheit ausübt, und die drei
RAI-Programme, die unter der Kontrolle der Regierung stehen, teilen sich
den TV-Markt nahezu vollständig auf.
Im zweiten Duell fehlten die Giftpfeile. Nun sassen sich zwei Kontrahenten
gegenüber. Sie waren wiederum korrekt dunkel gekleidet und sassen
gepflegt und in vorbildlicher Sitzhaltung da. Beide sprachen in
angemessenem Tempo und in situationsgerechter Lautstärke.
Berlusconi und Prodi wirkten sogar über weite Strecken recht dialogisch.
Es gab Blickkontakt und Pausen und beide trugen ihre vorbereiteten Argumente
eloquent vor. Obwohl die Voten gut eingeübt waren, wirkten sie spontan und
natürlich. Berlusconi nahm sich im ersten Teil stark zurück.
Die rechte Hand klammerte sich am Tisch, die andere fasst den Stift mit
der zu einer Faust geballten Hand. Immerhin verzichtete Berlusconie beim zweiten Duell
auf die "die das störende Kritzeln". Das wurde ihm gewiss im Training
abgewöhnt. Prodi nahm sich in der Startphase ebenfalls enorm
zurück und verschränkte immer wieder die Arme. Bei Prodi fielen
uns vor allem seine zugekniffenen Augen auf. Vielleicht störten
ihn die Scheinwerfer. Die "Schlitzaugen" stimmten nicht mit dem sonst
so väterlich wirkenden Professors überein. Belusconi und
Prodi redeten sich allmählich warm, wirkten im zweiten Teil viel
entspannter.
Generell erlebten wir Prodi defensiver als im ersten Duell. Sein
Sprechfluss stockte oft. Berlusconi konnte ihn oft als
"Raubritter" hinstellen, der es auf die Steuern abgesehen hat und
Anleihen aufnehmen wolle. Immer wieder musste sich der Herausforderer
rechtfertigen. Obschon Prodi versuchte, die Angriffe mit Humor
und Lächeln zu kontern, fiel es ihm nicht leicht, Berlusconi an
seinen wunden Weichstellen zu treffen. Er hätte mit gezielter
Wiederholungstaktik Berlusconis Mängel nachhaltig festigen
müssen. Er kritisierte zwar die Regierung wegen ihrer laschen
Haltung gegenüber der Steuerhinterziehung. Doch fehlte nach unserem
dafür Prodi die wichtigste Kernbotschaft, die mit verschiedenen
Bildern, Geschichten und Fakten zementiert werden muss.
Einmal griff Prodi Berlusconi direkt an. Berlusconi konterte sofort.
Prodi hatte viele Botschaften wie:
- Berlusconi stürzt Italien in eine Krise
- Er hat den Haushalt nicht im Griff
- Die Truppen müssen aus Irak abgezogen werden
- Die Erbschaftsteuer für Reiche muss eingeführt werden.
Die folgenden Bemerkungen zu den einzelnen Wortgefechten stammt von "20 Minuten":
Trotz der strengen Regeln der von RAI 1 ausgestrahlten Fernsehdebatte versuchte
Berlusconi mehrere Male, seinen Gegner zu unterbrechen, als der das Problem
des ausufernden Defizits und der zunehmenden Steuerhinterziehung unter
der Mitte-Rechts-Regierung anprangerte.
"Ich begreife nicht, wie es möglich ist, dass die Linke ständig
Italien und ihre Regierung verleumdet, indem sie die Wahrheit völlig
entstellt."
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Prodi mahnte den Premier, ihn nicht zu unterbrechen und ihn zu
respektieren. Er beschuldigte den Ministerpräsidenten und seine
Regierungskoalition, ihn ständig beleidigt zu haben.
"Man hat mich als 'armen Mann' und als 'Hase' bezeichnet, doch ich
lasse mich von diesen Tönen nicht beeinflussen"
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betonte ein heiter wirkender Prodi.
Der Oppositionschef ärgerte Berlusconi, als er den Zahlenschwall,
mit dem der Ministerpräsident die Resultate seiner Regierung
im Wirtschaftsbereich aufzulisten versuchte, als den Versuch eines
Betrunkenen bezeichnete, sich an einer Strassenlaterne zu stützen,
um nicht zu fallen. Auf diese Worte reagierte Berlusconi emotional.
Auch Berlusconi sparte nicht mit Attacken gegen seinen Gegner:
"Lassen Sie mich sagen, dass Sie ein nützlicher Idiot sind. Sie
borgen Ihr gutmütiges Pfarrersgesicht der Linken, die zu bis zu 70
Prozent aus Kommunisten besteht"
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Öfters warnte der Regierungschef die Italiener davor, eine
Mitte- Links-Allianz zu wählen, die aus elf Parteien besteht:
"Prodi wird nicht fähig sein, Italien die politische
Stabilität zu sichern".
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Die Steuerpolitik der beiden politischen Blöcke stand im Mittelpunkt
der 90 Minuten langen Fernseh-Diskussion, die vom "König" der
italienischen Polit-Show, dem Starjournalisten Bruno Vespa, moderiert
wurde.
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