Rhetorik.ch


Knill+Knill Kommunikationsberatung

Knill.com

Klug zu fragen ist oft schwieriger als klug zu antworten

Von Marcus Knill

In unseren Beiträgen analysierten wir vor allem das Antwortverhalten
vor Mikrofon und Kamera. Es lohnt sich, einmal die Art des Fragens von
Moderatorinnen und Moderatoren unter die Lupe zu nehmen. Ursula Bringolf
befragte jüngst Reto Brennwald (Moderator der Rundschau SF DRS) im
Schaffhauser Fernsehen. Brennwald hat sich dank konsequenten Nachfragens
in der Rundschau einen Namen gemacht. In unserem Beitrag erleben wir
ihn nun in der Rolle des Antwortenden. Wir betrachten zuerst den Dialog
zwischen den beiden Medienprofis und beleuchten in der zweiten Sequenz die
Fragehaltung des bekannten Moderators Wieland Backes (Nachtcafés im
ARD). Er  ist der Öffentlichkeit als sanfter Polarisator mit Tiefgang
bekannt, der es immer versteht, auf die Gäste einzugehen. Wir halten
Backes für einen der besten Befrager bei Gesprächsrunden.

1. SEQUENZ

Bringolf zu Reto Brennwald:

Ist es eigentlich eine Ehre auf dem heissen Stuhl zu sein? Oder ist es
ein bisschen ein Schandbänklein?

Brennwald:

Nein also. Ein Schandbänklein ist es ganz sicher
nicht. Natürlich sind die Leute meist in einer kontraversen
Situation. Und wir stellen auch viele kritische Fragen. Aber: Ich
sage immer den Leuten Es ist eine Chance. Ich glaube, wir sind ein
glaubwürdiger Rahmen, den unsere Zuschauerinnen und Zuschauer
sehr ernst nehmen. Wenn jemand kommt und sich dieser Situation stellt,
dann hat er eigentlich schon zur Hälfte gewonnen. Und wenn er dann
die Fragen einigermassen ehrlich beantwortet, dann kann das eigentlich
sehr gut sein für unsere Gäste. Die meisten äh sagen
nicht so gern zu, sind aber nachher relativ zufrieden und sie sagen,
sie würden wieder kommen.

Bringolf:

Sie sagen, die Leute sagen nicht so gerne zu. Es ist aber auch wichtig,
dass man die kontraversen Leute auf dem Stuhl hat. Wir weit machen Sie
da einen Kompromiss, wenn beispielsweise ein Gast sagt: Also gut, ich
komme, aber über das gebe ich keine Auskunft aber über das
bitte nichts fragen!

Brennwald:

Das ist immer auch eine Verhandlungssache. Was ich sage: Wir machen
keine Abmachungen, welche in diesem Sinn geheim sind. Der Zuschauer
soll wissen, dass jemand kommt, aber über ein gewisses Thema nicht
reden möchte. Ich sage immer: Es ist  aber ich ich möchte
fragen können. Sie können immer sagen: Aus diesen oder jenen
Gründen möchte ich dies nicht beantworten. Thomas Borer war
beispielsweise so ein Fall. Er hat gesagt, ich komme - in der grossen
Boreraffaire aber ich sage jetzt sicher nicht, ob in jener Nacht auf
der Botschaft etwas gewesen ist oder nicht. Ich sagte: Das können
Sie schon sagen. Aber ich frage dennoch, wie dies gewesen ist.

Bringolf:

Sie gelten als sehr bissig. Sie fragen auch nach.

Brennwald unterbricht: Bissig?

Bringolf:

Bissig ja. Aber im Interview meine ich bissig. Sie fragen nach!
Sie wollen es wirklich genau wissen. Ich habe Sie in der Rundschau mit
Alice Schwarzer der Feministin schlechthin am Tisch gesehen und ich
habe eher so ein wenig einen zahmen Reto Brennwald gesehen. Es ist mir
auch aufgefallen, dass sie Sie manchmal auch nicht so recht ausreden
liessen - also Alice Schwarzer liess Sie nicht richtig ausreden. Ist
man da ein wenig eingeschüchtert also als Mann?

Brennwald lacht erstaunlich lang und fügt an:

Aber ich muss sagen: Ich habe ja - bei Roger Schawinski gearbeitet
früher und Roger Schawinski hatte keine Chance gehabt gegen Alice
Schwarzer.

Bringolf:

Das waren die grossen High- lights gewesen. Er - damals mit Alice
Schwarzer. Er hatte wirklich und das darf man jetzt schon sagen das
Zwei auf dem Rücken gehabt oder?

Brennwald:

Ja - da sage ich jetzt einmal: No- comment. (und lacht nochmals kurz,
aber hörbar)

Bringolf:

Ist bei Ihnen nicht der Fall gewesen möchte ich auch sagen. Eher
. Sie waren einfach etwas zahmer so.

Brennwald:

Ich weiss nicht, ob sie nicht ein wenig altersmild worden ist. Aber .
Ich denke, wir haben eine gute Chemie gehabt. Und: Ich habe Respekt
gehabt selbstverständlich. Ich habe nicht das Gefühl,
dass ich besonders zahm gewesen bin. Die Begriffe zahm oder bissig
sind in meinen Augen auch nicht ganz die richtigen. Es geht darum,
ob jemand kommt, weil er effektiv Fehler gemacht hat und zu diesen
Fehlern Stellung nehmen muss, wie beispielsweise ein Bundesrichter,
der jemanden anspuckt und man ihn darüber befragt. Das ist alles
geschehen in der Rundschau oder ob jemand einfach eine politische Meinung
hat wie Alice Schwarzer. Dass sie etwas konservativer geworden ist und
für Angela Merkel beispielsweise sehr grosse Sympathien hat das
ist ja nicht ein Fehler. Das ist einfach, das muss man einfach heraus --
versuchen herauszuschälen.

Bringolf:

Gibt es auch Leute, die unbedingt auf den heissen Stuhl möchten? Die
anrufen und sagen: Reto Brennwald, bitte, bitte lade mich ein!

Brennwald:

Denken Sie , dass es dies gibt?

Bringolf:

Ich denke jetzt einmal: Ja. Aber ich habe Sie gefragt! Sie fallen in
die andere Rolle. Dass Sie gerne fragen - nicht wahr?

Brennwald: Das ist ein - das ist ein ganz alter Trick. Wenn man nicht
antworten will, fragt man zurück.

Bringolf:

Ja ja, ist gut.

Brennwald fährt weiter: Nein aber ich sage es drum weil das macht
natürlich niemand. Es wäre ein wenig peinlich fast. Aber
so in einer etwas klevereren Art und Weise geschieht es doch. Es
gibt schon Sprecher von Bundesräten, die durchblicken lassen,
dass der Bundesrat so und so nicht abgeneigt wäre, zu diesem oder
jenem Thema zu kommunizieren, einem Thema, das den Herren wichtig ist.
Dann müssen wir schauen, ob dies auch in unserem Interesse ist. Das
kann bei Abstimmungen der Fall sein.

ANALYSE:

Ursula Bringolf beginnt mit einer Alternativfrage. Sie bringt dadurch den
Profijournalisten in eine Entweder-oder- Situation. Brennwald verneint
zuerst das Schandbänklein. Im ersten Teil der Antwort scheint er
zu akzeptieren, dass es eine Ehre sei, bei ihm auf dem Stuhl zu sitzen.
Doch der Profijournalist weiss: Ich muss bei einer Alternativfrage
differenzieren. Anstatt den ersten Teil der Frage zu bejahen, beschreibt
er seine Arbeit: Wir stellen viele kritische Fragen. Den Befragten
wird gesagt, dass sie mit einem Auftritt eine Chance haben. Brennwalds
Formulierung Wir sind ein glaubwürdiger Rahmen anstatt: Wir haben
oder bilden einen glaubwürdigen Rahmen stört mich nicht. Der
Gedanke wurde verstanden. Dem Rundschaumoderator gelingt es zudem,
in seiner Antwort auch noch für sein Sendegefäss zu werben
d.h. er ermutigt künftige Gäste, auf seinem Rundschaustuhl
Platz zu nehmen. Reto Brennwald wünscht vom Gegenüber
lediglich ehrliche Antworten. Was auffällt: In dieser Passage
gibt es zu viele eigentlich. Eine Hohlformel, die in Gesprächen
meist als Füller oder als Abschwächung gebraucht wird.
Ursula Bringolf unterbricht das Gegenüber nie. Sie hört gut zu
(Sie haben gesagt,....). Sie versteht es, den letzten Teil der Aussage
direkt in eine weiterführende Frage zu kleiden: Wie weit machen Sie
Kompromisse? Laienmoderatoren erkennen wir meist an ihrem Fragenkatalog,
den sie ablesen . Dialogisches Fragen ist nur möglich, wenn auf die
Antworten eingegangen wird. Klug fragen bedeutet, das Gegenüber
zum Reden zu bringen. Bei der Antwort Bennwalds zum heiklen Thema:
Fragen oder nicht, wenn jemand über ein Thema keine Auskunft
geben will, macht der Sprechfluss bewusst: Brennwald muss die Antwort
sorgfälig formulieren (Sprechrhythmus signalisiert: Stopp - genau
überlegen dann antworten!) Mit dem Borer- Beispiel gelingt es
ihm, die komplexe Thematik einfach, eindeutig und gut verständlich
zu veranschaulichen. (In der Medienrhetorik lohnt es sich, das Spiel
mit Beispielen wieder spielen zu lernen). Bei der Frage zu Alice
Schwarzer ist Ursula Bringolf das erste Mal etwas zu lang und verspricht
sich. Wir verzichten hier auf ein tiefenpsychologische Interpretation.
Bringolf hält sich an die bewährte Moderationsregel, stellt
die provokative Frage erst am Schluss und verzichtet auf unnötige
Zusatzbemerkungen. Die Frage zeigt dadurch Wirkung. Reto Brennwald gelingt
es, bei der Schawinskigeschichte dem Vorwurf zu begegnen, der sei Alice
Schwarzer unterlegen gewesen. Er bejaht zwar die Frage ob Schawinski
eine Zwei auf dem Rücken gehabt habe - mit einem kurzen Ja. Doch
schwächt er dann das Ja mit einem diplomatischen No comment ab
und schwärzt seinen ehemaligen Chef nicht an. Spannend ist das
Verhalten Brennwalds bei einer Frage, die er nicht gerne beantworten
möchte. Er nutzt die Technik der Gegenfrage, doch erkennt Ursula
Bringolf den Rollenwechsel und spricht dies an. Brennwald verzichtet auf
ein Versteckspiel und wirkt durch diese Ehrlichkeit noch souveräner.
Was er von seinen Gästen erwartet, nämlich offen und konkret
zu antworten lebt er selbst vor. Er erzählt von den Angeboten der
Pressesprecher der Bundesräte und beantwortet die originelle
Frage wiederum mit einem Beispiel. Ursula Bringolfs Befragung
zeichnet sich durch dialogisches Moderieren und klare eindeutige
Formulierungen aus. Reto Brennwald wirkt offen und ehrlich, In der
Eröffnungssequenz, die wir nicht publiziert haben, verriet er Ursula
Bringolf sogar, dass es ihm leichter falle, zu fragen als zu antworten.
Zu Fragen sei sien Job und jetzt müsse er antworten, dies falle
ihm schwerer. Wir sehen: Was ungewohnt ist, macht mehr Mühe. Eine
wichtige Erkenntnis des Medienrhetoriktrainings! Situationen, die uns
fremd sind, gilt es im Training zu simulieren, nicht das, was wir bereits
beherrschen! Im zweiten Teil des Interviews geht dann Brennwald auf die
Frage nach der neutralen Haltung der Journalisten ein. Brennwald betont,
er sei verpflichtet, nachzufragen und nachzuhaken, falls ausgewichen
oder abgelenkt wird. Er müsse auch die Gegenposition eines Gastes
einnehmen können, um herauszufinden, ob Sachverhalte begründet
werden können. Alles in allem dominiert die dialogische Haltung: Das
gegenseitige Interesse an der Frage oder an der Antwort war offensichtlich

Im Nachtcafé (ARD) vom 4. November befragte Wieland Backes
zum Thema Wo die Liebe hinfällt Bibi Johns, Sängerin und
Schauspielerin, die auf einer Kreuzfahrt einen 40 Jahre jüngeren
Pianisten kennen und lieben gelernt hatte. Unkenrufen zum Trotz hält
diese Beziehung bereits sieben Jahre. Der Moderator verstand es, den
Philosophen Gerd B. Achenbach ins Gespräch mit einzubeziehen,
sodass das Gespräch Tiefgang bekam.

2. SEQUENZ:

Backes zu Bibi Johns:

Wo ist er Ihnen über den Weg gelaufen?

Bibi Johns:

Wir waren zusammen engagiert auf der MS Europa. Ich als Sängerin. Er
als klassischer Pianist. Im Restaurant sass er zufällig wenn es
Zufälle gibt neben mir. Als ich ihn zum ersten Mal sah, fragte ich
mich, was macht dieser junge Mann er sah viel jünger aus als ich
in den blauen Jeans hier bei den Künstlern? Dann hatte ich einmal
Probe im grossen Salon. Da ist er vorbei gegangen und hat meine Musik
gehört. Das fand er sehr interessant. Er setzte sich hin und hat
die ganze Probe mitgehört. Später hat er mir erzählt, er
hätte sich in meine Stimme verliebt. Dann hatte er sein Konzert. Ich
war im Publikum und war neugierig, was dieser Mensch macht. Dann ist
eigentlich bei mir passiert. Er hat den Fis-Dur Walzer von Liszt wie
der Teufel selbst gespielt.

Backes:

Von wem ist die Initiative bei Ihnen ausgegangen?

Bibi Johns:

Wir waren da auf dem Schiff. Ich hatte meinen Begleiter, den Pianisten
dabei. Wir drei waren immer zusammen, gingen an Land zusammen und haben
zusammen gegessen. Wir hatten sehr viel Spass. Und mir wurde ganz diskret
und fein der Hof gemacht. Aber ich dachte: Das ist ein romantischer junger
Mann. Das ist ein Strohfeuer und das geht aus den Augen aus dem Sinn.
Das geht an mir vorbei. Da ging ich nach Hause. Da bekam ich jeden Tag
einen Brief und einen ganz lieben süssen Brief. Sein Deutsch war
ja damals nicht so gut. Aber mit den Sprachkenntnissen, die er hatte,
hatte er wunderschöne Briefe geschrieben.

Backes (Zwischenbemerkung):

Das schätzt die Frau.

Bibi Johns:

Dann hat er mich mal in München einen Tag besucht. Wir sind Essen
gegangen, haben gut geredet. Dann im Herbst dieses Jahres musste er nach
Japan auf Tournee mit einem Wiener Orchester. Da hat er mich jeden Tag
angerufen. Damals war das Telefonieren nicht so preiswert wie heute. Der
hat wohl seine ganze Gage vertelefoniert. Dann kam er zurück. Wir
haben uns öfters gesehen. Irgendwann mal hab ich gemerkt, dass
ich einen sehr wertvollen Menschen gefunden habe.

Backes:

Aber als lebenserfahrene Frau ist man doch eher vorsichtig.

Bibi Johns:

Aber natürlich, natürlich. Aber..

Backes:

Aber Sie haben das ja nicht mehr geplant.

Bibi Johns:

Ich hatte es nicht geplant, aber es war nicht so, dass ich da --
plötzlich entschieden habe. Ich liess.....ich liess es wachsen.

Backes:

Aber Sie haben ihn gewähren lassen.

Bibi Johns:

Kann man sagen, ja (lacht).

Backes:

Ich gucke die ganze Zeit zu Gerd Achenbach. Der guckt so skeptisch.
Was sagen Sie dazu?

Achenbach:

Ich schaue überhaupt nicht skeptisch. Ich sage Folgendes: Die
Geschichte ist schon deswegen interessant und ein wunderbares Beispiel
für eine Liebesgeschichte. Eine Liebesgeschichte, die nicht
unmöglich ist, ist auch langweilig. Stellen Sie sich vor: Eine
Liebesgeschichte er und sie beide im gleichen Grossraumbüro. Sie
arbeiten an den gleichen Sachen und gehen am Abend in die Disco. Daraus
gibt es auch eine Geschichte. Diese Geschichte wäre aber
unglaublich langweilig. Während Ihre Geschichten, die haben an
sich was. Vor allem zeigen sie auch: Die sind ein Risiko. Nur wo ein
Risiko im Spiel ist, kann die Liebe zeigen, was in Wirklichkeit in ihr
steckt. Abhängig davon kann man sagen: Es ist eigentlich die Lehre
von allen grossen Liebesgeschichten, die wir kennen Tristan und Isolde
und Romeo und Julia. Es muss eigentlich so sein, dass es gar nicht geht.

Backes:

Lebt man in dieser Konstellation und in dieser Lebensphase genau so,
wie eine Siebzehnjährige?

Bibi Johns:

Ich hab vergessen wie das war (lacht). Nee, es ist eh..das geht bei uns
sehr ganz romantisch zu. Das geht von ihm aus.

Backes:

Spielen unterschiedliche Lebensperspektiven in so einer Konstellation
vielleicht doch eine Rolle?

Achenbach:

Also die Lebensperspektive mit 35 ist anders als die mit 40 Jahren
später. Ein Mann mit 35 oder eine Frau, die denkt noch ganz
anders. Da liegt noch Zukunft vor einem. Man lebt, denkt an Perspektiven
Was mach ich noch im Leben? Werde ich vielleicht selber nochmals
Vater? oder ähnliche Dinge.

Backes:

Die Beziehung mit einem jungen Mann. Kann das gut gehen?

Bibi Johns: (mit betroffener Stimme etwas ungehalten) Das werden wir
ja sehen! ------ Also: Ich habe keine Angst vor der Zukunft muss ich
sagen. Angst ist was Abstraktes und das äh das würde uns
Dafür vor Angst zu haben, würde unswürde nur hinder--
hinderlich sein, das Leben hier und jetzt zu geniessen.

ANALYSE:

Wieland Backes ist kein lästiger Ausfrager. Seine Fragen sind
einfach und klar. Er verzichtet auf  Fragenketten (Mehrere Fragen,
hintereinander gereiht ). Die jeweiligen offenen Fragen führen
das Gespräch weiter, die befragte Person spürt echtes
Interesse und ist dadurch bereit, persönliches preiszugeben.
Bibi Johns erzählt den ganzen Werdegang ihrer Liebesgeschichte
und zwar erstaunlich ausführlich. Die Geschichte ist für
die Zuhörer gut nachvollziehbar. Ohne Provokationen hört
sich der Moderator die detaillierten Schilderungen an. Zum guten
Befragen gehört vor allem das konzentrierte Zuhören! Erst am
Schluss tangiert Backes einen heiklen Punkt: Mit der Anspielung auf
die Frau mit Lebenserfahrung. Seine Bemerkung: Eine lebenserfahrene
Frau ist doch vorsichtig! - ist zwar keine Frage. Doch stecken in
dieser Aussage zahlreiche verborgene unausgesprochene Fragen oder
Bedenken: Waren Sie nicht zu naiv? Hatten Sie keine Angst, in der
Verliebtheit ausgenützt zu werden? Wer so erfahren ist wie Sie,
sollte sich doch nicht auf einen 40 Jahre jüngeren Mann einlassen!
Erst nach der letzten provokativen Zwischenbemerkung stockt Bibi Johns
Sprechfluss. Sie gibt bei diesem Denkanstoss ehrlich zu: Ich liess ihn
gewähren. Dieses Eingeständnis nimmt sofort den Druck weg.
Die Offenheit entlastet. Backes scheint zufrieden, Die ehrliche Antwort
genügt fürs erste. Jetzt will er vom Philosophen wissen,
was er zu dieser ungewöhnlichen Geschichte meint. Wir erfahren,
weshalb die Liebesgeschichte von Bibi Johns eine spannende Geschichte
ist: Die Beziehung muss mit einem Risiko verbunden sein. Wenn etwas gar
nicht sein dürfte und dennoch etwas daraus wird, wird es spannend.
Das Gespräch bekommt dank dieses Einschubes - von aussen -
zusätzlichen Tiefgang. Nach der Einbeziehung des Philosophen
kehrt Backes überraschend und unverblümt zum mutmasslichen
Kriegsschauplatz der Liebesgeschichte zurück: Er fragt jetzt kurz
und bündig: Kann das gut gehen? Dass Backes mit dieser direkten
Frage einen wunden Punkt getroffen hat, verdeutlicht wiederum die Art und
Weise des Antwortens. Die Satzbrüche und das Suchen nach richtigen
Worten sind offensichtlich. Bei überraschenden Fragen besteht
immer die Gefahr, dass wir unüberlegt einfach etwas Unbedachtes
formulieren. Wir vergessen in der Regel - durch Irritationen - das
zwingend notwendige Innehalten, die wichtigen Denkpausen. Bibi Johns
hätte sich nach der Frage ruhig eine Zäsur von zwei Sekunden
leisten können. Das Innehalten macht den Zuhörern bewusst;
Die Person überlegt und antwortet bedacht (Nur wer überlegt,
ist überlegen). Bibi Johns hätte auch die überraschende
Frage zuerst klären oder die Frage einordnen können: Sie
möchten wissen, ob die Geschichte für mich oder für beide
gut gehen kann?
Bei überraschenden Fragen ist es auch zulässig, die
überraschende Frage in Frage zu stellen: 
Wollen Sie, dass ich Kaffeesatz lese? Oft
hilft es bei direkten Fragen - die uns persönlich treffen -
den Boden unter den Füssen wieder zu finden, dass wir über
die Gesprächssituation reden (wir gehen auf die Metaebene):
Diese Frage irritiert mich. Ich höre daraus den Vorwurf: Das
kann gar nicht gut gehen! Bei allen Gesprächen könnten wir
derartige Antworttechniken antizipieren. Wir sollten aber auch lernen,
professionell zu fragen. Bei allen Dialogen ist letztlich unsere
Einstellung und Haltung gegenüber den Mitmenschen das Wichtigste!
Backes Fragetechnik veranschaulicht: Wer das Gegenüber schätzt,
achtet und dessen Meinung respektiert, kann auch Sachverhalte hart
hinterfragen.

FAZIT: Es gibt viele Moderatoren nicht nur bei Lokalradios und
Lokalfernsehstationen -, bei denen die Zuhörer schon bei der
Fragestellung beinahe einschlafen, weil die teilnahmslos einen
Fragenkatalog herunterleiern. Wer in den Medien genau hinhört,
merkt sofort, wer das ABC des gekonnten Fragens beherrscht. Leider
dominieren Befrager, die sich mit ellenlangen Erklärungen
profilieren möchten. Fragen können heisst in erster Linie:
Aktiv zuhören und Interesse am Gegenüber haben. Es geht
um Achtsamkeit. Das ist mehr als Konzentration. Sigmund Freud sprach
von freischwebender Aufmerksamkeit. Eine gute Moderation bringt das
Gegenüber zum Reden. Eindeutiges Fragen lohnt sich nicht nur
für Journalisten. Auch Lehrkräfte, Dozenten, Ärzte, Juristen,
Personalchefs und Führungskräfte profitieren, wenn sie sich
genauer mit der Thematik Fragen- aber wie?
 auseinandersetzen.

Klug zu fragen ist gewiss nicht einfach, jedoch lernbar. Auf kluge Fragen
sollten wir anderseits überlegt und klug antworten können. Den
Antworttechniken werden wir uns später wieder zuwenden.