Seit mehreren Tagen herrscht ein bürgerkriegsähnlicher Zustand mit
heftigsten Kravallen in den Pariser Vorstädten. Man sah ausgebrannte
Busse, Brandschatzungen, zerstörte Autos und aufgebrachte Banden,
die Polizei und selbst die Feuerwehr mit Molotwkocktail bewerfen.
In der Nacht auf Samstag gingen 900 Autos in Flammen auf. Der Französische
Premier Dominique de Villepin hat neben Innenminister
Nicolas Sarkozy mehrere andere Minister zu einem
krisentreffen zusammengerufen.
Ähnlich wie bei dein Jugendunruhen in Zürich vor Jahrzehnten
als "Zürich brannte", haben auch hier die Medienkonsumenten
das Gefühl, dass "Paris brenne". Es ist glücklicherweise noch
nicht so weit. Doch besteht die Gefahr, dass die Saat der Gewalt auch
in anderen Stadteilen und andere Städten aufgeht.
Sarkozys Rhetorik giesst Öl ins Feuer
Frankreichs Regierung scheint derzeit machtlos. Sie hat noch kein Rezept
gegen diese neusten Krawalle. Der Innenminister des Landes,
Nicolas Sarkozy
reagierte mit unpassenden Worten und goss mit einer fragwürdigen
Rhetorik zusätzlich Öl ins Feuer. Er sprach von "Gesindel", dessen
man sich entledigen müsse. Das "Gesindel" versprach darauf, es werde
dafür sorgen, dass der Innenminister verbrenne.
Beissende Worte sind das Markenzeichen von Sarkozy. Für "Abschaum" und "Ganoven"
hält der Rechtsausleger der konservativen Pariser Regierung
randalierende Jugendliche in den Vorstädten. Doch die markigen Worte
des 50-jährigen Kandidaten für das Amt des Präsidenten
heizen die Aktionen nur an. Seit einer einer Woche - Nacht für Nacht
- eskalieren die Anschläge rund um Paris. Frustrierte jugendliche
Einwanderer wagten umgehend eine Kraftprobe mit ihrem Feindbild :
"Das ist nur der Anfang, wir machen weiter, bis Sarkozy geht",
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lautet eine Parole. Die Regierung gerät immer mehr unter Druck und wirkt
derzeit hilflos.
"Wir sind dafür da, dieses Krebsgeschwür auszumerzen, wir
werden uns dieses Gesindels entledigen."
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lautet Sarkozys Philosophie. Er möchte unruhige Vorstädte am liebsten mit dem "Kärcher"
(Hochdruckreiniger) säubern und hofft auf Zustimmung am rechten Rand
der Wählerschaft. Wie Jean-Marie Le Pen weiss er recht genau, was
der "Normalfranzose" von den "Krawallmachern aus Nordafrika" hält.
Die Regierung versucht, unter Premierminister Dominique de Villepin die
Flammen einzudämmen. Rezepte fehlen. Die Polizei wehrt sich.
"Wir sind rund um die Uhr mit der Lage in den
Vorstädten konfrontiert, solche Äusserungen wie die von der
'Säuberung der Cités' sind jetzt einfach unangebracht",
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fand Francis Masanet, Vize-Generalsekretär der Polizeigewerkschaft.
Gründe der Gewalt
Soziologen, Psychologen und Experten mutmassen in den Medien,
wie es zu dieser unkontrollierbaren Gewalteskalation kommen konnte.
Die Meinungen klaffen weit auseinander. So wird vermutet:
- Frankreich habe die Integration vernachlässigt
- Ghettos sind eine günstiger Nährboden
für Gewalt
- Armut und Arbeitslosigkeit und Hoffnungslosigkeit
treibe die Jugendlichen zu den Verzweiflungstaten
- Die Einwanderungspolitik sei schuld. Man habe zu viele Asylanten
aufgenommen
- Das harte Durchgreifen der Polizei und die überhebliche
Rhetorik Sarkozys habe das Fass zum Überlaufen gebracht
Brandanschläge gab es auch auf Autohäuser, Lagerhallen und
öffentliche Einrichtungen wie ein Rathaus und Kindergärten
sowie auf eine Synagoge. In Meaux östlich von Paris hinderten
Unruhestifter zudem Sanitäter daran, einen Kranken in eine Klinik
zu bringen. Laut der Polizei warfen sie Steine auf Rettungskräfte
und setzten den Krankenwagen in Brand.
Am Samstag sind in mehreren Vororten der französischen Hauptstadt
Kundgebungen gegen die Unruhen geplant. Der Bürgermeister
von Rosny-sous-Bois, Claude Pernes, sprach von einem regelrechten
Guerillakrieg und urbanem Aufstand.
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