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www.rhetorik.ch aktuell: (7. Juni 2002)

Landesausstellungen als Spiegel des Zeitgeistes

Eine Betrachtung zur EXPO 02 als Kommunikationslandschaft

Lili, das Maskottchen



Gegensätze unter einen Hut bringen

Wir haben bei Kommunikationsprozessen immer wieder betont, dass Gegensätze unter einen Hut gebracht werden müssen. (Siehe Balance artikel).
Der Expobesuch hat uns nachträglich positiv überrascht. Uns überzeugte die konsequente Umsetzung eines durchdachten roten Fadens. Wer es sich leisten konnte, alle Arteplages zu besuchen, konnte folgende Gegensatze mit allen Sinnen erleben und darüber nachdenken:

Biel:
"Macht und Freiheit"
Neuenburg:
"Natur und Künstliches"
Yverdon le Bain:
"Ich und das Universum"
Murten:
"Augenblick und Ewigkeit"
Jura:
Das Begriffspaar: "Sinn und Bewegung"

Diese klare Struktur hat uns beeindruckt und ist eine Bereicherung für alle, die sich mit Kommunikationsprozessen auseinandersetzen. Nachdem verschiedene Mängel der ersten Planungen korrigiert werden konnten, kann der Besuch der Expo mit gutem Gewissen empfohlen werden.

Die Expo 02 ist nicht ohne Geburtswehen entstanden. Blenden wir zurück:
Zur Projektplanung der EXPO 01

Am 22. Oktober 99 beleuchteten wir in einem Zeitungsbeitrag über die EXPO 01, die drei Aspekte des magischen Dreieckes Qualität - Kosten - Termine, die bei jeder Projektplanung berücksichtigt werden müssen. Wir beanstandeten damals, dass bei der Planung der EXPO 01 zwei dieser zwingenden Eckwerte negiert worden waren: Die Kosten- und Terminfragen. Für uns war es damals völlig unverständlich, dass ein weiterer wichtiger Aspekte bei allen Kommunikationsprozessen, nämlich - die Adressaten - in der Anfangsphase der Planung übergangen worden sind. Beim ersten EXPO-Konzept fehlte eindeutig das Eingehen auf die Bedürfnisse der Bevölkerung.
Eine Grundregel:
Adressaten nie ausklammern!
der Kommunikation blieb unbeachtet. Die zentrale Frage:
Was wünschen die Adressaten?

interessierte die visionären Planerinnen vorerst nicht. Bei Kommunikationsprozessen ist es aber eine Todsünde, wenn die Rezipienten unberücksichtigt bleiben. Miltiaerdrone, an Expo demonstriert Wirtschaft, Bevölkerungswünsche, Kirchen oder Landesverteidigung interessierten die Macher und Macherinnen der Landesausstellung anfangs ebenfalls nicht. Wir glaubten 1998 noch an eine EXPO, welche die Kommunikationslandschaft Schweiz ganzheitlich anpackt. Als Kommunikationsberater wünschten wir uns einen Dialog mit dem Volk. Doch die Visionäre blieben zuerst uneinsichtig: Sie befürchteten eine Wiederholung der "Igel" EXPO 64. Die Ausstellung durfte auf keinen Fall zu einer zweiten "Landi" oder einer Präsentation der Wirtschaft werden. Sponsoring ja, aber ohne Werbung!
Die kreativen Macher setzten all ihre Kräfte ein, damit die EXPO zu keinem OLMA - Bratwurstfest (Volksfest) verkommt.
Kreatives, Chaotisches à là Pipilotti dominierte in den Köpfen der EXPO Geburtshelfer. Es sollte bei der Expo nur das gezeigt werden, was den künstlerischen Kriterien einer kleinen Gruppe von Eingeweihten entsprach.
Wer sich jedoch mit Kreativitätsprozessen auseinandersetzt, der weiss, dass sich nur aus dem Mix zwischen Chaos und Ordnung etwas Neues realisieren lässt.
Die Schöpfer der ersten Stunde verblieben leider lange in esoterischen Visionen und Experimenten. Ordnung, Management, Planung - vor allem aber die Finanzplanung - wurden (bewusst?) vernachlässigt. Anstatt einer "Landesausstellung für alle" entstand nach und nach eine Ausstellung für eine elitäre Schar Kulturschaffender. Eine Expo der Kulturesotheriker?
Modell Nestlé in Orlando

Orlando 1998 erlebten wir in Orlando (USA), wie gemeinsam mit der Wirtschaft, publikumsattraktive Pavillons kostengünstig geschaffen werden konnten. Der Ausstellungsbau der Firma Nestlé im Walt Disney World war ein grosses Publikumsmagnet. Dank den Geldern einer Firma kamen die Zuschauer zu einem einmaligen Einblick in die Nahrungsproduktion der Zukunft. In den USA störte sich niemand an der aufwendigen Zukunftswelt, hinter der recht werbewirksam ein Unternehmen stand.
Wir vertraten deshalb 1998 die Meinung, dieses USA Modell könnte auch in der Schweiz Schule machen. Firmen hätten ein Thema bearbeiten können - nach dem Konzept der EXPOmacher. z.B. Möbel Pfister: Möbel der Zukunft usw. Dank Werbung wäre dies kostengünstig gewesen.
Wirtschaft als Fremdkörper?

Doch die Schöpfer der ersten Stunde zogen es vor, Wirtschaft und Werbung als Fremdkörper zu betrachten.
Es dauerte viel zu lang, bis erkannt wurde, dass eine Brücke zu Volk und Wirtschaft notwendig ist. Trotz Bedenken, trotz zahlreicher Pleiten und Pannen wurde der Weg der Egomaniker nur leicht modifiziert weiterbeschritten. Ein Zurück gab es für die Verantwortlichen nicht mehr. Beinahe wäre das ganze Projekt gescheitert.
Die EXPO musste wohl oder übel um ein Jahr verschoben werden. Manager wurden geholt, um die Sache wieder ins Lot zu bringen. Köpfe rollten. Krisenmanagement war gefragt und ersetzte das fehlende Projektmanagement.
Das Parlament schluckte notgedrungen verschiedene "bittere Pillen". Alle Wirren und Probleme wurden hierauf dank fünf Finanzspritzen überstanden. Franz Steinegger musste das Szepter übernehmen. Die ehemalige EXPO 01 konnte endlich als erfolgversprechende Expo 02 gefeiert werden.
Eine EXPO als Standortbestimmung.

Franz Steinegger 1999 glaubten wir, Franz Steinegger würde als neuer Kapitän den falschen Kurs korrigieren und aus dem "Entweder-oder" - Denken der Macherinnen einen "Sowohl- als auch" Kurs einschlagen. Die EXPO als einmalige Plattform einer Standortbestimmung der Schweiz war nicht nur von uns begrüsst worden. In den Medien gab es entsprechende Leserbriefe und zahlreiche Vorschläge.
Uns schwebte damals eine Standortbestimmung des Landes vor. Eine Chance, über die Schweiz von gestern, heute und morgen nachzudenken. "Sowohl - als auch" anstatt "Entweder - oder" Bestehendes und Neues- Rückblick und Visionen; verschiedenste Gegensätze hätten unter einem Hut Platz finden können. Eine progressive Volks- EXPO für alle wäre 1999 ohne weiteres noch umsetzbar gewesen. Die Expo als Kommunikationslandschaft eines Landes: Eine EXPO als Dialogplattform für alle. Für:
  • Volk und Elite.
  • Wirtschaft und Globalisierungsgegner.
  • für Bratwurstliebhaber aber auch für Freunde moderner Kunst.
Wir vertraten die Meinung, die Expo müsste eine Brückenfunktion in der Kommunikationslandschaft Schweiz übernehmen.
Sogar mit einem aufwendigen Riesenmonument, das für kommende Generationen als Erinnerung an diese Standortbestimmung stehen geblieben wäre und nicht abgerissen werden muss. Wir hatten diese Gedanken 1999 veröffentlicht und auch Franz Steinegger schriftlich zukommen lassen.
Am 19. Oktober 99 erhielten wir ein Antwortschreiben von J. Matyassy, mit dem Hinweis, dass Franz Steinegger unsere Anregungen in seine Überlegungen einbeziehen werde. Doch wurde uns noch geschrieben: "Es ist allerdings anzunehmen, dass sich das Projekt Expo 02 inhaltlich weitgehend auf die geleisteten Vorarbeiten abstützen wird." Damit war klar, dass niemand mehr an eine grosse Korrektur dachte.
Die Ent-täuschung

Heute könnten Sie als Internetleser denken, wir wären nun enttäuscht, weil die EXPO nicht mehr im Sinne dieses Dialoges umgestaltet werden konnte. Wir sind alles andere als enttäuscht! Wir sind eher im positiven Sinn ent - täuscht im Sinne von: Die Täuschung wich.
Die jetzige Expo demonstriert nämlich offen und ehrlich den heutigen Zeitgeist. Die Ausstellung gaukelt dem Volk nichts vor. Die EXPO 02 widerspiegelt recht anschaulich die aktuelle Stimmung in unserem Lande.
Dank des Verzichts auf Täuschungen (Ent-Täuschung) veranschaulicht uns die Expo 02, welche Mentalität derzeit dominiert. Sie zeigt die Lust am Leben und am Geniessen und das Bedürftnis zur Selbstverwirklichung.
Landesausstellungen vermitteln Stimmungsbarometer

Rückblickend vermittelte jede Landesausstellung ein situationsgemässes Stimmungsbarometer:

1883 war die erste Landesausstellung in Zürich. Es war eine Wirtschaftsshow, die sich mit Kultur drapierte. Die Wirtschaft dominierte damals. Stichworte: Maschinenhalle, Konsumaltäre, Feuerwerk. (Im Gegensatz zur jetzigen EXPO, bei der die Kultur dominiert). Zuerich 1883
1896 präsentierte die Schweiz in Genf eine heile Welt. Stichworte: Dorf mit Exoten aus Afrika, eine Leistungsschau der Industrie und das Village Suisse. Genf 1896
1914 dominierte in Bern die Ruhe vor dem ersten Weltkrieg. Stichworte: Sportstadion, Wirtshaus zum Rössligarten, Bühne für das Heimatschutztheater. Bern 1914
1939 widerspiegelte die Landi in Zürich eine Heimatverbundenheit vor dem 2. Weltkrieg. Stichworte: Schifflibach, Seilbahn, Fahnen, Pavillon der Elektrizität. Bern 1914
1964 kam im kalten Krieg in Lausanne die Igelmentalität auf. Doch signalisierte die Landesausstellung eine Bereitschaft zur Öffnung (Baustile usw). Stichworte: Heureka, Zelte, Mesoscaph, Monorail, Armeepavillon. Lausanne 1964
2002 lebt uns die EXPO 02 vor, was Egomanie heisst. Egozentrismus ist Trumpf. Künstler verwirklichen sich selbst. Wir leben auf Pump (mit Finanzspritzen) - analog des Swissairdebakels. Stichworte: Eröffnungsspektakel, Monolith, Arteplages, künstliche Wolke. Schon wenige Tage nach der Eröffnung der EXPO 02 veranschaulichen verschiedenste Bereiche recht unmissverständlich den heutigen Zeitgeist. Expo 2002


Dazu einige Beispiele:
Zeitgeist: Orientierungslosigkeit:

Dies demonstrieren die Wegweiser, die immer wieder umgestellt werden können und viele Besucher irritieren. Auch die Beschriftung mit Piktogrammen, die von den wenigsten verstanden werden, macht bewusst: "Originalität geht vor Verständlichkeit!" Irritation als Selbstzweck? Viele Installationen sind ohne zusätzliche Informationen völlig unverständlich.
Zeitgeist: Provokation

Das Eröffnungspektakel war für viele eine reine Provokation. Ein alter Mann schleppte sich vor die Bühne, zündete zwei Rauchbomben und sprengte einige Gartenzwerge in die Luft. So wie die Werbekampagnen "Gemüse, Sex und Expo" oder "Irritation und Tabubruch als Werbegag", so waren die Provokationen bestimmt beabsichtigt. Denkbar, dass die Schauspieler enttäuscht gewesen wären, wenn in Leserbriefen das Gekeife und wilde Herumtanzen nicht beanstandet worden wäre. Ein Lob wäre für die Macher fragwürdig gewesen. Dies hätte bedeutet, dass die Vorführung der Norm entspricht und sich den Wünschen der Normalverbraucher angepasst hätte.
Das Spektakel war nur für eine kleine abgehobene Schicht gedacht, die den Sinn der beabsichtigten Provokation richtig einzuordnen verstand.
Zeitgeist: Umweltschutz

Auch hier täuscht uns die EXPO nichts vor. Die künstliche Wolke, die über Wochen enorme Wassermengen versprüht, hätte eigentlich umweltfreundlich mit Seewasser hergestellt werden sollen. Doch Plankton verstopfte die feinen Düsen und nun muss Trinkwasser vergeudet werden. Selbstverständlich ist die Wolke heute eine der grössten Attraktionen, die sogar als Publikumsmagnet erhalten bleiben müsste.
Die Abfallbehälter können nicht - wie verlangt - richtig sortiert werden. Anscheinend wäre der Aufwand zu gross gewesen. An Abfallkübeln mangelt es generell. Die Expo wiederspiegelt damit sehr anschaulich unser derzeitiges Dilemma, wenn es um konkreten Umweltschutz geht.
Zeitgeist: Turmbau von Babel

Die multikulturelle Schweiz und die zunehmende Sprachlosigkeit symbolisierte das Eröffnungsspektakel mit dem Turmbau von Babylon sehr eindrücklich. Dass Kulturschaffende und Bürger eine andere Sprache sprechen, machte das breite Unverständnis der Bevölkerung für die griechische Mythologie in Mundart bewusst. Medienkritiker und Volksmeinung konnten mit der sicherlich tiefsinnigen Darbietung gar nichts anfangen. Wer die griechische Mythologie nicht kennt und im Lexikon die wichtigsten Begriffe der griechischen Mythologie nicht nachgeschlagen hatte, verstand nur "Bahnhof". Leserbriefschreiber zeigten sich nach der 15 Mio teuren Eröffnungsfeier erbost.
Die abstrakten Beiträge blieben für die meisten ein Rätsel. Bei vielen Stationen müssen nachträglich Führer eingesetzt werden, die den irritierten Zuschauern erklären, was der Sinn der Exponate bedeutet. Ohne zusätzliche Erläuterungen und Erklärungen bleiben leider viele Objekte und Installationen unverständlich (beispielsweise Pinocchio).

Zerschlagene Porzellanteller Als Beispiel des Missverstehens macht uns folgender Leserbrief in der Sonntagszeitung vom 26. Mai bewusst wo Heinrich Hefti aus Schwanden schrieb:
"Es ist eine blamable Leistung, wenn sich die Schweiz in dieser Form präsentiert. Mein Besuch vom 17. Mai 2002 auf der Arteplage von Biel war eine völlige Enttäuschung. Was soll daran interessant sein, mit Basketballkopfhörern durch ein Zelt zu laufen und dabei Stimmen zu Staat und Bund zu hören? Ebenfalls kann ich nicht begreifen, was daran interessant sein soll, einen Porzellanteller mit einer Botschaft zu beschreiben und ihn dann sofort zu zerbrechen.
Im Pavillon "Empire of silence" konnte man zum Schluss ausdruckslose Masken, welche wahllos aufleuchteten, mit einer Ohrfeige beklatschen."

Bei allen Kommunikationsprozessen hat das Verstehen und verstanden werden Priorität.


Doch die EXPO 02 täuscht uns nichts vor: Sie verdeutlicht, dass wir uns gegenseitig selten verstehen und viele Menschen, (so wie die Kulturschaffenden und das Publikum) unverständlich miteinander kommunizieren. Das Schauspielhaus Zürich setzte ähnliche Signale. Den Machern ging es nie darum, verstanden zu werden.
Die EXPO verdeutlicht, dass es in unserem Land mit dem gegenseitigen "Verstehen wollen" schlecht bestellt ist. In Kommunikationsseminaren gilt zwar die Regel:
"Wenn jemand etwas falsch versteht, so ist der Sender schuld."


Zeitgeist: Auf Pump leben

Auch bei den finanziellen Aspekten veranschaulichte uns die EXPO, dass in unserem Land erst konsumiert wird ohne ans Zahlen zu denken. Jedes Kind weiss heute, dass es ein Anrecht hat auf ein Natel. Die Eltern kommen diskussionslos für die Unkosten auf. Es wird konsumiert, bevor das Geld vorhanden ist. Ausgeben oder "auf Pump geniessen" ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Die Expomacher gaben das Geld ebenfalls aus und werden noch mehr ausgeben, auch wenn das Limit mehrfach überschritten wurde. In diesem Fall zahlt der Bund und muss laufend weiter zahlen. Die Expo ist heute fünf Mal teurer als geplant. Obschon jedes Billet vom Bund mit 200.-- Fr subventioniert ist, kostet einer 3 köpfigen Familie (trotz Rabatten und Halbtagkarten) der dreitägige Aufenthalt über 1000.-- Fr. Jeder Vereinsvorstand wäre in die Wüste geschickt worden, wenn er ein Budget so massiv überschritten hätte. Die Armee, die zuerst unerwünscht war, darf heute wenigstens dort helfen, wo Arbeitskräfte gebraucht würden. (Kostet den Bund zusätzlich noch über 100 Mio Franken.) Dass es kein Zurück mehr gibt, leuchtet ein. Wer A sagt muss auch B sagen. Das Ausgeben hat eben auch Vorteile: Konsum ist der Motor der Wirtschaft.
Zeitgeist: Spielregeln irrelevant

Die Verpflegungstätten halten sich übrigens auch nicht an die Abmachungen und verlangen 30 Fr. für ein Poulet mit Pommes. Damit täuschen uns die Gastwirte nichts vor. Sie veranschaulichen - dank ihrem Verhalten - offen und ehrlich, dass Spielregeln weniger wert sind. Restauranteure sorgten auch anderswo für Missmut: In Restaurants und auf dem Funpark wurden nicht alle Käufe getippt. Die Expo verliert so Konzessions-Einnahmen. Expo Betriebs-Direktor Hohl: "In einigen Restaurants wird für jede zweite oder dritte Konsumation ein Kassenzettel getippt".
Zeitgeist: Offene Schweiz

An der EXPO 02 fehlten Schweizerfahnen. Dies wurde sofort beanstandet. Doch wir finden: Auch dies veranschaulicht, dass tatsächlich nichts vorgetäuscht wird. Der Verzicht auf Schweizer Fahnen gehört mit zum Konzept. Eine fahnenlose Schweiz signalisiert: Wir sind ein offenes Land. Wir sind multikulturell. Somit verliert auch das Schweizerkreuz an Bedeutung. Uns erstaunten auch die Stimmen der Auslandpresse über die EXPO nicht. Die "Financial Times" (London) freut sich über die unschweizerische Schweiz. Auch die "Frankfurter Allgemeine" ist begeistert von der unschweizerischen Leichtigkeit. "Die Zeit" findet die Expo gut, weil sie das klassische Bild der Schweiz korrigiert. Diese Echos wecken Fragen, wie: Muss eine Landesausstellung etwas Fremdes darstellen? Muss das bestehende Bild der Schweiz verfremdet werden?
Botschafter Borer wurde oft gelobt, weil er das Image der Schweiz in Deutschland dank der Auftritte seiner Frau Shawne Fielding verändern konnte. Auch in diesem Fall stellte sich die Frage, ob die Texanerin tatsächlich das Schweizerbild so wiedergegeben hatte, wie es ist? Wenn die Schweiz als unschweizerisch dargestellt werden müsste, dann hätten die Schöpferinnen der EXPO ihr Ziel erreicht. Expo - sei Dank.
Jede Landesausstellung vermittelt eine Momentaufnahme der jeweiligen Stimmung eines Landes. Die Expo 02 leistete mit der heutigen Präsentation mit ihrer Eindeutigkeit einen wertvollen Beitrag zur Überdenkung des Zeitgeistes 02 in unserem Land.
Die jetzige Landesausstellung wird bestimmt nachträglich einen grossen Erfolg buchen. Die Zuschauerzahlen steigen jedenfalls erfreulich stark. Die Werbung funktioniert und an Attraktionen mangelt es nicht. Über die Kosten wird sich bestimmt später niemand mehr negativ äussern.
Wenn die EXPO 02 zum Nachdenken anregen konnte, hat sich der Aufwand trotz aller Pannen und Mängel gelohnt. Franz Steinegger korrigierte übrigens nachträglich zahlreiche Beanstandungen. So wurden auch noch einige Schweizerfahnen gehisst. Die Gastwirte wurden ebenfalls gebeten, sich an die Preisabmachungen zu halten.

Für uns bestätigt ein Leserbrief die erläuterte Kernaussage. Othmar B. Hutter schreibt am 2. Juni in der Sonntagszeitung:
"Man kann die EXPO kritisieren. Man kann über ihr Konzept diskutieren. Architektonisch ist sie eine Meisterleistung. Diejenigen, die kritisieren, sollten einmal alle Pavillons besuchen! Die Expo widerspiegelt unter anderem die multikulturelle Gesellschaft in unserem Land...".

Damit wird genau das bestätigt: Die Landesausstellung 02 widerspiegelt den aktuellen Zeitgeist! Wir wünschen einen besinnlichen EXPO aufenthalt.



Nachtrag vom 23. August: Grössere Kosten rhetorisch gut verkauft. Wie vorauszusehen war, will die EXPO Leitung nochmals 70 Mio Franken als zusätzlichen Nachtragskredit. Die Begründung war rhetorisch geschickt: Managementfehler wurden bei allen Begründungen ausgeklammert. Es wurde betont:
  • Der Erfolg ist gross. Die Zuschauer geniessen die Arteplages, doch haben zu viele von den vergünstigten Eintrittspreisen Gebrauch gemacht.
  • Mehr Einnahmen bei den Parkplätzen waren vorausgesehen. Die Leute sind mit den öffentlichen Verkehrmitteln gekommen. Damit klafft eine Lücke bei der Zwischenabrechnung.
Wohl oder über werden die Parlamentarier nochmals in den sauren Apfel beissen. Später wird niemand mehr von Fehlplanung von Fehlmanagement reden. Die teure Selbstdarstellung wird als treffendes Zeitdokument in die Geschichte eingehen.

Nachtrag vom 22. Sept, 2002, Expokosten
Die zu hohen Expokosten und die damit verbundenen Nachtragskredite geben weiter Diskussionsstoff.
Die Gründe Fraktion der Parlamentes fordert eine Parlamentarische Untersuchungskommissioen zur EXPO- Finanzierung. Sie wollen wissen, wer die Verantwortung für das Finanzdebakel trägt.
Es ist bekannt geworden, dass die Expo auch nach der Schliessung noch weiterhin Löhne von gegen neun Millionen Franken zahlen muss. Die Verträge für das Direktorium laufen nach Torschluss noch ein Jahr, weiter. Kritiker finden, es brauche zur Ausarbeitung der Schlussberichte kein volles Salair mehr.
Dass der EXPO Präsident sich seine Arbeit mit 750'000 Franken entschädigen lassen kann, ist für viele unverständlich. Nach Sonntags Zeitung vom 22. September, beanstandeten Politiker, dass eine Erfolgskomponente ins Salair hätte eingebaut werden sollen. Steinegger will auf seine "Entschädigung" trotz der prekären Finanzsituation nicht verzichten. Der EXPO Präsident hatte die Funktion im Nebenamt übernommen. Alle wissen, dass dieses Nebenamt auch als Ehrenamt ein Sprungbrett für weitere attraktive Jobs gewesen wäre. Bereits wird Steinegger nälich als Bundesratskandidat gehandelt. Es fragt sich deshalb ob die Rechnung für den FDP Nationalrat auf? Die Salaire zahlreicher Expo-Exponenten sind immer noch nicht - so wie bei Franz Steinegger - offen gelegt.


Nachtrag vom 22. Oktober: Stimmen zum Ende der Expo
Zum Torschluss der Expo 2002 wurden erste Untersuchungen veröffentlicht, die zum Ziel gehabt hatten, herauszufinden, wie die Besucher die Landesausstellung beurteilt haben. Die Stimmen waren zum Teil recht kritisch:
  1. Nach einer representativen "Facts" Umfrage fiel das Urteil der Bevölkerung eher kritisch aus. Die Expo 2002 sei kein Renner geworden. Sie habe die Schweiz nicht nachhaltig inspiriert. (Nelly Wenger, als "Madame EXPO" hält dagegen, dass die Arteplages erst allmählich ihre Wirkung entfalten würden.) Die "Zerstückelte" der auf drei Orte verteilten Expo habe zwar beliebig viel geboten, aber kaum Prägnantes vermittelt.
  2. Nach dem 20. Oktober bleibt voraussichtlich nichts mehr als Denkmal zurück. Alle Monumente werden verschwinden. Aus Kostengründen scheint eine Verlegung des Kubus oder der künstlichen Wolke kaum noch eine Chance zu haben, um irgendwo weiterzuleben. Übrig bleiben jedoch die Erinnerungen an die zahlreiche Events und schönen Formen - Inhalte blieben weniger haften. Eine Kernbotschaft der Expo wurde nicht erkannt.
  3. Unvergesslich ist hingegen für alle das finanzielle Loch von einer halben Milliarde Franken in der Kasse. Von der überwiegenden Anzahl der Besucher wurde auch das unprofessionelle Finanzmanagement beanstandet.
  4. Die bis zu zwei Stunden dauernden Wartezeiten werden ebenfalls in Erinnerung bleiben.
  5. Bei den Besuchern blieb vor allem der eindrucksvollen Kubus in Murten in Erinnerung.
  6. Bei der Expo habe das Mittelmass dominiert. Die Ausstellung habe weder nach links noch nach rechts ausschlagen wollen. Sie habe weder Jung noch Alt, weder Rentner noch Bauern verärgern wollen.
  7. Die Expo wollte Fragen aufgreifen und suggerierte Offenheit. Sie gab sich tolerant. Trotz der zusätzlichen Ausstellungsführer und Dolmetscher verstanden jedoch viele die anspruchsvollen Inhalte nicht. Provokationen wurden meist nur mit Kopfschütteln quittiert.
  1. Haften bleibt auch eine Liste von unschönen Geschichten: Kioskbesitzer klagten zum Beispiel gegen die Expo-Leitung, man habe ihnen falsche Angaben gemacht. Weil die Einnahmen 85% unter dem Managementzahlen lagen, fordern die Kioskbetreiber nachträglich 3 Millionen Franken zurück.
  2. Der Abbruch dauert ebenfalls viel länger als geplant. Der Abbau verspätet sich nach neusten Erkenntnissen um ein Jahr. Die Kosten der Demontage und Entsorgung von 450'000 Tonnen Expo-Müll wurden die Kosten bei der Projektierung vergessen.
  3. Dank verbilligten Eintritten konnten die Zuschauerzahlenzusätzlich noch erhöht werden. Dadurch ist es am Schluss noch möglich geworden, trotz Finanzproblemen mit besseren Besucherzahlen aufzuwarten.
  4. Positiv wurden die Kantonaltage gewertet. Die Beiträge der Kantone gaben der experimentellen Schau den Anstrich einer Landesausstellung, was eigentlich erst die Vielfalt der Schweiz bewusst machte.
  5. Peter Jenny von der ETH meinte, dass im Gegensatz zur Expo 64, wo sich die Schweiz als Igel gezeigt hatt, die heutige Expo die Schweiz als Chamäleon gezeigt hatte. Die alte Igelmentalität existiere höchstens noch in der Verwaltung. Die Fülle von Bildern sei heute ein Problem. Das Unvermögen, Bilder zu verstehen und entsprechend zu selektionieren, führe zum Verlust der bildnerischen Artikulationsfähigkeit (visuelle Analphabeten). In einer Ausstellung schrieb Jenni an die Wand:
    "Wer in Zukunft nicht in Bildern denken kann, ist ungebildet."

    Bildverständnis sei wichtig, weil Wahrnehmung ein Vehikel für kritisches Hinterfragen sei.




Nachtrag vom 10. Mai 2003. Arroganz?
Martin Heller In einem Radiointerview erstaunte uns die Nachlese des künstlerischen EXPO EX-Direktors Martin Heller. Man habe nachträglich offen Selbstkritik geübt, sagte er und man hätte sich gründlich überlegt, was die Exposchaffenden alles hätten besser machen können. Im Zusammenhang mit den unablässigen Diskussionen über die Rücksichtnahme auf populäre Events, welche das Volk versteht oder auf die bewusste Beibehaltung abstrakter Umsetzungen anspruchsvoller Themen, habe er schon früher gesagt: Das Volk ist nicht dumm. Man darf das Publikum durchaus fordern und es ist wichtig, von den Besuchern etwas zu erwarten. Heute müsse er sich nachträglich den Vorwurf machen, zu viel Rücksicht auf die Bedürfnisse der Kritiker genommen zu haben. Man hätte eigentlich die Messlatte noch viel höher setzen müssen.
Martin Heller In unserer Analyse haben wir stets betont: Bei allen Dialogen lohnt es sich, die Adressaten mit einzubeziehen und die "Kunden" ernst zu nehmen. Nachdem die EXPO zuerst grosse Mühe hatte hinsichtlich Akzeptanz des Publikums, finden wir es recht arrogant, sich nachträglich vorzuwerfen, man hätte noch weniger Rücksicht nehmen sollen auf die Wünsche der Bevölkerung. Die Landesausstellung wurde als Standortbestimmung für das ganze Land gedacht. Wer nachträglich behauptet, man hätte noch mehr über den Köpfen hinweg kommunizieren müssen, (man hätte die Besucher noch mehr überfordern dürfen) signalisiert Uneinsichtigkeit. Allgemein wurde festgestellt: Viele Darstellungen hätten durchaus noch verständlicher gestaltet werden sollen. Es mussten Leute aufgeboten werden, welche das Schwerverständliche erklären mussten. Bei allen Kommunikationsprozessen (und auch eine EXPO gehört dazu) hat das "Verstehen" und "Verstanden werden" erste Priorität. Hoffentlich haben wir Martin Heller bei seiner Nachlese falsch verstanden. Hätte er es so gemeint, wie er es gesagt hatte, wäre es aus unserer Sicht bedenklich.


Nachtrag vom 23. Juni 05:

Gründe für zu teure Expo seien mangelhafte Vorbereitung, Zweckoptimismus und zu wenig genutzte Einsparungsmöglichkeiten.


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