Die Welt hoffte bei der Vergabe der Spiele, China halte dank der Olympiade
die Menschenrechte ein
Peking erhielt 2001 den Zuschlag, nicht zuletzt in der Hoffnung, die mit
den Spielen verbundene Aufmerksamkeit werde die chinesische Führung
zur Einhaltung der Menschenrechte bewegen.
In der Tat scheint das Regime in Peking die Spiele sehr ernst zu nehmen.
So ernst, dass es in deren Vorfeld tüchtig aufräumen will. Ganz
abgesehen von der brachialen Art, in der die Demonstranten in Tibet zum
Schweigen gebracht wurden, hat sich die Menschenrechtslage im Reich der
Mitte deutlich verschärft.
Die chinesische Regierung habe die Repression gegenüber Aktivisten
verstärkt, erklärte Irene Khan, Generalsekretärin von
Amnesty International (AI).
"Bis jetzt haben die Olympischen Spiele nichts zur Förderung von
Reformen beigetragen."
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Amnesty international listet Sündenregister:
- Willkürliche Verhaftungen, unfaire Prozesse
Wegen "Aufhetzen zum Widerstand gegen die Staatsgewalt" wurde Ende
März der Menschenrechtsaktivist Yang Chunlin zu fünf Jahren Haft
verurteilt. Der Prozess dauerte rund 20 Minuten. Seine Parole "Wir wollen
keine Olympischen Spiele, wir wollen Menschenrechte" war den Machthabern
in Peking in den falschen Hals geraten. Chunlin ist nicht der einzige. Hu
Jia, ein in Peking lebender Aktivist, wurde am 18. März wegen
"Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" verurteilt. Seine Frau
Zeng Jinyan und ihr Baby stehen zu Hause unter strenger Polizeibewachung.
- Folter
Nach Angaben von Amnesty International gehören in China "Fusstritte,
Schläge, Elektroschocks, das Aufhängen an den Armen, das
Anketten in schmerzhaften Positionen, Verbrennungen mit Zigaretten sowie
Schlaf- und Nahrungsentzug zu den gängigen Foltermethoden". Gerichte
gehen nicht auf die Versuche von Anwälten ein, Foltervorwürfe
zur Entlastung der Angeklagten vorzubringen.
- Todesstrafe und Organhandel
China richtet jedes Jahr mehr Menschen hin als alle anderen Staaten
der Welt zusammen. Schätzungen gehen bis zu 10 000 Todesurteilen
pro Jahr. Chinesische Gerichte verhängen die Todesstrafe auch
für Delikte wie Bestechung, Geld- und Scheckfälschung, und
Steuerhinterziehung. Obwohl Organhandel in China inoffiziell verboten ist,
werden die Organe von hingerichteten Menschen für Transplantationen
verwendet und landen auch auf dem Schwarzmarkt.
- Verletzung der Religionsfreiheit
Mitglieder von religiösen oder spirituellen Gruppen müssen in
China mit drakonischen Strafen bis hin zur Exekution rechnen. Insbesondere
die Falun-Gong-Sekte wird von Peking konsequent verfolgt.
Aber auch andere Religionsgemeinschaften werden drangsaliert: So wurden
Tausende von Mitgliedern offiziell nicht zugelassener protestantischer
"Hauskirchen" und vatikantreuer katholischer Gemeinden festgenommen.
- Diskriminierung von Minderheiten
Die blutige Niederschlagung der Proteste in Lhasa und anderen Städten
in Tibet warf im März ein grelles Licht auf den chinesischen
Umgang mit ethnischen Minderheiten. Neben den Tibetern klagen aber
auch die Uiguren in der riesigen Nordwest-Provinz Xinjiang über
eine fortschreitende Sinisierung durch die massenhafte Einwanderung
von Han-Chinesen. Die massiven Repressionsmassnahmen gegen die Uiguren
sind laut Amnesty International fortgesetzt worden. Insbesondere das
Recht auf freie Religionsausübung und der Zugang zu Bildung seien
beschnitten worden.
- Diskriminierung von Wanderarbeitern
Millionen von Wanderarbeitern sind in China ständig unterwegs auf
der Suche nach Arbeit. Diesen aus ländlichen Regionen stammenden
Menschen verwehren die Behörden gemäss Amnesty International
den Zugang zu "verschiedenen Formen der solidarischen Krankenversicherung,
wie sie der städtischen Bevölkerung" offenstehen. Zudem werden
ihnen oft die Löhne nicht ausbezahlt.
- Waffenexporte in Krisenregionen
Ungerührt von allen Appellen fährt Peking mit der
Unterstützung des Militärregimes in Burma fort, obwohl die
burmesischen Generäle unlängst friedliche Massenproteste blutig
niederschlagen liessen. Auch Waffen werden weiterhin nach Burma geliefert;
ebenso in den Sudan, wo die Menschenrechtslage ebenfalls äusserst
prekär ist. Nur durch die chinesische Rückendeckung war es
der sudanesischen Regierung bisher möglich, die Massaker in der
Westprovinz Darfur zu unterstützen.
- Zensur
China hat während des Aufstands in Tibet bewiesen, dass es in der
Lage ist, den Informationsfluss von der unruhigen Provinz ins Ausland
trotz der modernen Kommunikationsmethoden weitgehend zu kontrollieren
und zu unterbinden.
Presse und elektronische Medien werden am Gängelband geführt und
auch die rund 130 Millionen Internet-Nutzer surfen in einer zensierten
Version des Web. Chinesische User werden ständig ausgespäht
und eingeschüchtert. Peking schränkt den Zugang ins Internet
überdies mit technischen Massnahmen (Filter) ein, stellt zu diesem
Zweck aber auch Forderungen an ausländische Internet-Firmen. Google,
Yahoo und Microsoft zensieren ihre für China bestimmten Angebote,
um am Markt partizipieren zu dürfen.
Quellen: Amnesty International, amnesty.ch
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Nachtrag vom 9. April: Auch Demonstrationen in San Francisco
Tumulte und Durcheinander beim olympischen Fackellauf durch San Francisco:
Aus Angst vor Protesten wurde die Route verkürzt und verändert,
die Flamme fuhr zeitweilig per Bus. Präsidentschaftsbewerber Obama
ermuntert US-Präsident Bush, die Olympia-Eröffnung in Peking
zu boykottieren.
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Nachtrag vom 10. April 2008: PR-Debakel droht
Der Wiesbadener Kurier
schreibt:
"Prügelnde Polizisten, blutüberströmte Tibet- Demonstranten,
oder verschreckte Vorzeigesportler - auf solche Bilder hätte die heile
Olympia-Welt gerne verzichtet. Seitdem aber der globale Fackellauf nach
Peking zur Protestbühne gegen Chinas Tibet-Politik geworden ist,
droht den Sponsoren und Ausstattern des Sportspektakels nach Meinung von
Fachleuten ein PR- Debakel. Sie warnen bereits von einem Werbedesaster,
sollte der Widerstand andauern.
Dabei haben die Firmen Milliarden investiert, um mit den fünf
Olympia-Ringen werben zu dürfen. "Sie erwarten dabei, dass ihre
Produkte vor allem mit positiven Bildern verbunden werden", sagt der
Kommunikationsexperte Rupert Ahrens. Allein die zwölf Top-Geldgeber
wie Coca Cola, McDonald's oder Visa haben fast 870 Millionen US-Dollar
an das Internationale Olympische Komitee (IOC) bezahlt. Eine weitere
Milliarde haben die 35 Sponsoren des Pekinger Organisationskomitees BOCOG
hingeblättert, darunter Volkswagen und Adidas. Das Rechte-Paket
an den Sommerspielen und den Winterspielen 2006 in Turin hatte das IOC
für 4.5 Milliarden US-Dollar verkauft. Peking allein bringt dem
Komitee 1.74 Milliarden Dollar ein.
Angesichts der Proteste und Boykott-Forderungen raten Marketing- Experten
den Werbern zur Vorsicht. Sie sollten die Demonstrationen ernst nehmen,
wie der Präsident der Deutschen Public Relations Gesellschaft, Ulrich
Nies, sagt. "Business as usual" reiche nicht mehr aus. Mit aller Offenheit
müssten die Firmen jetzt begründen, welche unternehmerischen
Ziele sie mit der Werbung rund um die Olympischen Spiele verbinden.
Allerdings stecken die Sponsoren in einer Zwickmühle. In China,
mit einem Markt von 1,3 Milliarden potenziellen Konsumenten, wollen sie
für sich werben, im Westen droht ihnen dagegen ein Imageschaden
- "vor allem wenn aus Peking Olympia-Bilder mit viel Polizei und
Sicherheitsvorkehrungen kommen", wie Ahrens sagt. Dies wäre für
die Sponsoren "ein Debakel".
Die Firmen könnten auch selbst zum Ziel von Protesten werden. In den
USA hat bereits Hollywood-Star Mia Farrow zu Boykott der Produkte von
Olympia-Sponsoren aufgerufen. Der Regisseur Steven Spielberg sagte aus
moralischem Gründen seine Beteiligung an der Eröffnungsfeier
ab. Die Olympia-Kritiker haben gewichtige Gegner. Für die Vermarktung
der Spiele hat Peking die amerikanische PR-Firma Hill & Knowlton unter
Vertrag, die bereits für mehrere Olympische Spiele die Werbetrommel
rührten.
Ein überstürzter Rückzug aus dem Olympia-Sponsoring
wäre allerdings nicht überzeugend, wie PR-Mann Nies sagte. Die
Proteste seien absehbar gewesen. "Es war klar, dass die Tibeter die
Olympischen Spiele nutzen würden, um auf ihre Lage aufmerksam
zu machen". Auch Volker Nickel, Sprecher des Zentralverbands der
deutschen Werbewirtschaft (ZAW), rät den Firmen, die Entwicklung
abzuwarten. "Man kann davon ausgehen, dass die Menschen, die in Europa
oder Asien von der Werbung angesprochen werden, zwischen Chinas Politik
und dem Sportereignis unterscheiden können". Der Werbemann schliesst
aber nicht aus, dass sich bei einer Zuspitzung der Lage einige Firmen
von Olympia zurückziehen. "Der Massstab sollte die Haltung der
Sportler sein".
Einige Sponsoren haben die Zeichen erkannt, wollen sich aber aus
der politischen Schusslinie heraushalten. "Adidas ist sich der
Bedeutung des Schutzes der Menschenrechte bewusst", erklärte der
Sportartikelhersteller. Sponsoren könnten aber politische Probleme
nicht lösen. "Wir sehen klare Grenzen der Einflussnahme", hiess
es aus dem Unternehmen. Für Ahrens, geschäftsführender
Gesellschafter der A&B One Kommunikationsagentur, liegt der Ball
jetzt in Peking. IOC und chinesische Führung haben nach seiner
Ansicht die Proteste und ihre globale Wirkung unterschätzt. "In
der Weltöffentlichkeit gelten eben andere Regeln als in der
eingeschränkten Weltsicht Pekings".
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